Lügen haben rote Haare
findet. Hanni jammert, dass sie Bauchweh habe, meine Mutter bittet mich, einen Kamillentee aufzubrühen. Ich erkläre ihr, dass ich nicht weiß, ob Paul welchen im Hause hat. Prompt macht sie sich auf die Suche, indem sie alle Küchenschränke durchstöbert. Beim Stichwort Paul meldet sich mein Vater zu Wort.
»Ja, wo hat er sich denn versteckt, der Herr Schwiegersohn?«
Ich schlucke.
»Also Paul ist leider verhindert. Er ist krank. Fieber. Hohes Fieber. Er liegt in London, im Bett.«
Conny verzieht das Gesicht. »So was Doofes. Dann sehen wir ihn ja wieder nicht. Hast du nicht wenigstens ein Foto von ihm?«
»Natürlich habe ich Fotos. Ich zeige sie euch gleich, bevor ihr geht .« Die Betonung der letzten drei Worte war nicht zu überhören.
Jetzt meldet sich Conny wieder zu Wort. »Mamaaa«, ruft sie Richtung Küche. »Kochst du uns Kaffee?«
Unruhig stelle ich fest, dass Anton beim Zappen mit der Fernbedienung einen Sportkanal entdeckt hat, auf dem ein Fußballspiel läuft. Mein Vater setzt sich neben ihn, beide verfolgen gespannt den Ballwechsel und diskutieren fachmännisch. Anton ruft laut nach Opa.
»Opa, komm, es läuft ein Fußballspiel.«
Opa Heini kommt nicht, denn er ist vor ein paar Minuten über die Terrasse in den Garten verschwunden. Meine Mutter kommt mit einer Tasse dampfenden Tee herein und stellt ihn vor Hanni auf den Tisch. Sie findet es auch schade, dass Paul krank geworden ist. Hanni hat schon wieder etwas Farbe im Gesicht und setzt sich aufrecht hin.
»Mir ist nur noch ein bisschen übel.«
Nanni ist außer Sichtweite, ich fange an, nervös zu werden. Ich rufe nach ihr.
Conny beruhigt mich. »Mach dir keine Sorgen um das Kind, sie ist doch schon so groß.«
Ich unterdrücke die Erklärung, dass ich mich nicht um das Kind, sondern um das Mobiliar sorge. Der Kaffee ist fertig und meine Mutter stellt Tassen, nebst Warmhaltekanne vor uns hin.
»Schenk bitte ein, Hermann. Ich schau mal, ob ich einen Zwieback für das arme Kind finde.«
Hermann hört nicht, darum schenkt Conny ein. Anton ruft: »Bring mir auch einen Zwieback oder irgendwas Essbares mit!«
Das ist Connys Stichwort. »Sagtest du nicht, dass du einen kleinen Imbiss vorbereiten wolltest?«
Mir schwirrt der Kopf. Sagte ich das ? Demonstrativ schaue ich auf meine Uhr und gähne verhalten. Das ›arme‹ Kind steht langsam vom Sofa auf. Sie schlendert in den quadratischen großen Flur, in ihren Augen lese ich Entdeckungslust. Opa Heini kommt aus dem Garten hereingepoltert.
»Donnerwetter, da ist ja ein großer Pool im Garten … oh, Fußball, warum ruft mich denn niemand?«
In dem Moment kommt eine quiekende Nanni angerannt. Aus voller Brust gibt sie einen Jubelschrei von sich.
»Hurraaa, im Keller ist sooo ein riesiges Schwimmbad! Mit einer roten Bluse drin. Und oben sind ganz viele Betten. Ich bleibe hier. Ich fahre nicht mit in die Lüneburger Heide.«
Ach ja, die ›Bluse‹. Die hatte ich total vergessen .
»Ich bleibe auch hier«, stimmt Hanni ein.
Meine Mutter verteilt Knäckebrot und mahnt die Kinder streng: »Natürlich fahren wir.«
Ich schließe mich der Meinung meiner Mutter an. »Natürlich fahrt ihr.« Dabei bemühe ich mich, meine Stimme nicht hysterisch klingen zu lassen.
Prompt macht Hanni Würgegeräusche, Nanni zeigt ähnliche Symptome.
Jetzt jammern beide. »Uns ist schlecht, wir können nicht mitfahren.«
Mein Vater mischt sich ein. »Vielleicht ist es wirklich besser, nicht zu fahren. Wenn den Kindern doch übel ist?«
Mir wird auch übel, ich hätte es wissen müssen. Verdammt noch mal, ich hätte es wissen müssen ! Abwehrend hebe ich die Hände.
»Nein, also … das geht wirklich nicht, ihr könnt doch unmöglich …« Ich bin der Verzweiflung nahe.
»Aber, Karo, du tust ja gerade so, als könnten wir uns nicht benehmen«, säuselt meine Schwester scheinheilig. »Oder meinst du, dass Paul es nicht erlauben würde? Wir gehören doch schon quasi mit zur Familie.«
Die ›todkranke‹ Nanni kichert. »Wir müssen es ihm ja nicht sagen. Wenn er es nicht weiß, dann kann er auch nicht schimpfen!«
Ha, ha, ha.
»Toooor!«, die Männer brüllen laut, ich merke, dass ich dabei bin zu verlieren. Ich habe definitiv ein Eigentor geschossen. Meine Mutter sieht erst zur Uhr, dann zu Conny und den Kindern.
»Nun gut, von mir aus. Wenn Karo nichts dagegen hat, dann bleiben wir halt hier. Allerdings müssen wir dann noch Einkäufe machen. Im Kühlschrank liegen nur kleine Würstchen neben einer
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