Lügen haben rote Haare
nach Memmingen zu buchen. Er und Bert hätten bis Sonntag Geschäftliches dort zu erledigen. Um die Buchung des Doppelzimmers , welches er besonders betont, würde er sich selber kümmern. Am kommenden Montag wäre er wieder im Haus.
Als ich ein wenig zu keck sage, dass ich das verstehen könne, schmunzeln beide und fangen lauthals an zu lachen. Ich ärgere mich, dass ich rot werde. Bruni errötet ebenfalls.
Bert lacht noch immer, als er das Büro verlässt, Geiger wischt sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen. Als er sich zu mir beugt und mich küssen will, weiche ich flink aus.
»Es ist niemand da, Herr Geiger, der uns sehen könnte. Vor Frau Keller brauchen wir kein Theater spielen.«
Bruni verzieht keine Miene, sie schweigt verlegen.
Ich blicke ihn trotzig an, er lächelt und verlässt grußlos das Büro.
»Dumpfbacke!«, höre ich Bruni laut sagen, nachdem die Luft rein ist.
Ich buche den Flug und sende im Anschluss eine E-Mail mit den notwendigen Daten an Geigenpauls Mail-Adresse. »Der macht kein Geheimnis daraus, dass die in einem Doppelzimmer pennen.« Ich reibe meine Schläfen.
»Sollen sie doch. Gönnen wir es den beiden.«
22. Das große Machungwa
Endlich Freitag! Da ich während der vergangenen zwei Tage wie besessen geschuftet habe, beschließe ich, es heute etwas langsamer angehen zu lassen. Bruni hat mit großer Skepsis meinen Elan verfolgt, sich mehrfach besorgt erkundigt, ob meine Finger vom vielen Tippen nicht schmerzen würden. Nach außen hin zeigte ich mich gut gelaunt und fröhlich, doch tief in meinem Herzen verspürte ich eine eigenartige Melancholie. Ein ›Parasit‹ in Wurmform schlängelte sich durch meine Gehirngänge, ständig lief ein Film vor meinem inneren Auge, in dem Paul und Bert die Hauptdarsteller waren. Und sie spielten so gut, so herzzerreißend … dass mir richtig elendig wurde. Bruni schwärmte nur von Heiner, Simone kicherte am Telefon, wenn sie anrief. Auch sie sprach ausschließlich von ihrem geliebten Willi. Selbst die traute Zweisamkeit meiner Eltern ging mir gehörig aufs Gemüt. Beschämt gestand ich mir ein, dass ich neidisch auf alles war, das ein Paar beziehungsweise zusammengehörig war.
Messer, Gabel. Feuerzeug, Flamme. Rechter Schuh, linker Schuh. Himmel, Sterne. Tapete, Kleister. Als mir gestern Abend die Assoziation Herz, Schmerz in den Sinn kam, beschloss ich, Genosse Selbstmitleid keinen Raum mehr in meinem Kopf zu überlassen. In wenigen Tagen würde der Spuk vorüber sein und somit würde ich meine alte Form wiedererlangen. Nein, so wie Frau Piefke würde ich nicht enden, notfalls könnte ich in eine WG nach Russland ziehen.
Am Nachmittag sendet Bruni eine Gruppen-SMS an unsere Freunde. Sie fragt, ob wir uns am Abend treffen sollen und, falls ja, bei wem. Kurz darauf bittet Willi um 20 Uhr auf seine Dachterrasse. Wir freuen uns auf einen gemütlichen Abend. Die Vorstellung, nicht allein in meiner Wohnung zu sitzen, finde ich himmlisch.
Willis Dachterrasse ist so groß wie meine gesamte Wohnung. Man hat einen herrlichen Ausblick auf die Hamburger Skyline Richtung Jungfernstieg.
Eigentlich ist alles gut, alles in trockenen Tüchern. Dennoch bin ich nicht in guter Stimmung. Simone schlürft zum dritten Mal mit einem Strohhalm den letzten Rest ihres Longdrinks aus dem Glas. Dieses Geräusch nervt mich ungemein. Früher haben Conny und ich meinen Vater zur Weißglut getrieben, wenn wir versuchten, den letzten Tropfen Limonade aus den Gläsern zu saugen.
»Willi, bitte … bitte … schenk Simone nach«, rufe ich flehentlich.
Simone will nicht. »Danke, ich glaube, noch so ein Gesöff, und ich kotze über die Brüstung.«
Wieder dieses Schlürfen.
»Boah, bin ich froh, dass der Geiger uns laufen gelassen hat.« Sie saugt erneut am Strohhalm; ich halte mir die Ohren zu.
Heiner füllt Leuchtturms Glas mit Mineralwasser.
»Bäh, was ist das denn? Schmeckt ja voll fies.«
Bruni ergreift das Wort. »Simone, jetzt halt doch mal die Klappe.«
Willi schaukelt in einer Hängematte, die an zwei Balken der Holzkonstruktion gebunden ist. »Wir brauchen uns keinen Kopf mehr zu machen. Karo wird ihre Rolle für eine kurze Zeit spielen, dann ist alles wie gehabt. Punkt.«
Ich nippe an meinem Glas Rotwein. »Lange mache ich dieses Theater nicht mehr mit. Meine Familie werde ich schon in den nächsten Tagen auf die Trennung vom Geiger vorbereiten. Ist schon schlimm genug, wie sehr ich sie angelogen habe. Ich fühle mich deswegen ganz
Weitere Kostenlose Bücher