Lügen haben rote Haare
kennt Geigenpaul, ich hatte es in der Diskothek getragen. Ansonsten bin ich eher der sportliche Typ und besitze fast ausschließlich dementsprechende Klamotten. Für den heutigen Abend soll es aber schon etwas eleganter sein. Um 15:15 Uhr überfalle ich Conny zu Hause, am Telefon hätte sie meine Bitte eiskalt abgeschmettert. Neidlos muss ich zugeben, dass der Kleiderschrank meiner Schwester nicht nur prall, sondern auch sehr geschmackvoll gefüllt ist. Wie zu erwarten, ziert sie sich wie ein alte Jungfer. Ich versuche ihr begreiflich zu machen, dass ich für Paul heute besonders hübsch aussehen möchte.
»Du weißt doch, Karo, dass ich nicht gerne Kleidung verleihe. Das ist etwas ganz Persönliches, das ist so, als würde ich meine Haut verleihen.«
»Quatsch! Die kannst du doch eh im Leben nicht wieder tragen. All die schönen Klamotten gammeln schon Jahre vor sich hin.«
Prompt bekommt sie wässrige Augen. Mir tut es leid, dass ich sie verletzt habe; jetzt ist Schadensbegrenzung angesagt.
»Ich meine, Kinder sabbern doch permanent. Das ruiniert die tollen Kleider. Und wenn die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind, dann sind sie unmodern. Selbst in der Dritten Welt würde die dann niemand mehr anziehen wollen.«
»Du passt sowieso nicht in meine frühere Kleidung, du hast eine ganz andere Figur. Das sieht doch ein Blinder.«
Conny steht stur mit dem Rücken an ihren Kleiderschrank gelehnt, als müsste sie ihn vor einem Geschwader Motten verteidigen.
Sanft schiebe ich sie beiseite. »Lass doch mal sehen, es kommt auf den Schnitt an …«
Mit flinken Fingern greife ich nach einem grünen, aparten Cocktailkleid. Mit noch flinkeren Fingern sorge ich dafür, dass es innerhalb von einer Minute an meinem Körper sitzt. Begeistert drehe ich mich vor dem Spiegel.
»Siehst du, Conny, es passt wie angegossen.«
Connys Mundwinkel wandern Richtung Brustwarzen, meine Richtung Ohren. Als könnte sie meinen Anblick nicht ertragen, räumt sie Antons herumliegende Klamotten zusammen.
Ich taste mich hemmungslos durch den riesigen Schuhschrank hinter der Schlafzimmertür, und siehe da, ich finde sogar die passenden Pumps im klassischen Stil sowie eine perlenbestickte Abendtasche. Bloß nicht lange diskutieren.
»Ähm, Schuhe und Tasche kriegst du morgen auch wieder.«
Ich verdrehe verärgert die Augen, weil ich sehe, dass Conny ein Hemd von Anton vor ihr Gesicht presst und tief durchatmet. Die kann aber auch übertreiben! Ich rechne mit einer Heulattacke, die jedoch ausbleibt. Stattdessen reicht sie mir das hellblaue Businesshemd.
»Riech mal, das duftet extrem nach Parfüm. Diesen Duft kenne ich nicht, es müffelt irgendwie ordinär, nach Marke ›Schlampendiesel‹, das ist keiner meiner Düfte.«
Ich nehme ebenfalls eine Geruchsprobe, es stimmt. Ein schwerer, unbekannter Duft hat sich wie ein böses Omen in das Textil geschlichen. Ich versuche, meine Schwester von der richtigen Fährte abzubringen.
»Ne, du, ich rieche nichts. Vielleicht ist dein Geruchssinn, hormonell bedingt, übersensibilisiert.«
Conny nickt geistesabwesend. Ich bin mir sicher, dass sie sich sicher ist, dass ich Blödsinn rede.
»Anton wird heute erst gegen Mitternacht zu Hause sein …«
Sie beendet den Satz nicht. Bevor Conny ihn in die Finger kriegt, muss ich mit ihm reden.
Sobald ich in meiner Wohnung bin, versuche ich Anton zu erreichen. Auf seinem Firmenapparat meldet sich eine seiner netten Kolleginnen, die vorgibt, nicht zu wissen, wo er sich aufhält. Auf dem Handy erreiche ich ihn ebenfalls nicht, es ist ausgeschaltet. Ich sende eine Dringlichkeits-SMS mit Bitte um Rückruf.
Bereits eine halbe Stunde, bevor Geigenpaul anrücken wird, sitze ich, dezent zurechtgemacht, auf dem Sofa. Connys Schuhe sind mir definitiv eine Nummer zu klein, Füße schonen ist angesagt. Bei der kurzen Anprobe im Schlafzimmer meiner Schwester habe ich das gar nicht bemerkt. Jetzt weiß ich, was es heißt, in zu kleinen Schuhen einen guten Lauf zu starten. Schon nach wenigen Schritten schmerzen meine Füße so arg, dass ich nicht weiß, wie ich den Abend darin überstehen soll. Die Vorstellung, dass ich die nächsten Stunden sitzend verbringen kann, macht Mut. Ich vergewissere mich zum x-ten Mal, ob mein Handyempfang okay ist, denn Mistkerl Anton hat sich noch immer nicht gemeldet.
Geigenpaul klingelt pünktlich um 19 Uhr. Ich betätige nicht den Türöffner, sondern lasse ihn unten vor dem Hauseingang warten.
Er reicht mir distanziert die Hand und
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