Lügen & Liebhaber
war so eine Art, mir zu sagen: Du gehörst zu mir und ich zu dir, und vielleicht werden wir auch gemeinsam alt. Weil mir das doch unangenehmer war als das zuvor ziemlich konkrete Stimulieren gewisser Körperteile in der Berliner Abendsonne, sprang ich lieber auf und brachte meine Haare im Bad mit ein paar Bürstenstrichen in Form. Karl war als ordentlich veranlagter Mensch derweil damit beschäftigt, seine Dachterrasse zu säubern. Als er mit dem Wischlappen reinkam, äußerte er die Befürchtung, der Nachbar von gegenüber könne uns zugesehen haben, theoretisch zumindest, aber das sei ihm die Sache wert gewesen.
Ich zog mich an, Karl machte sich fertig, Wunsch Nummer zwei, der Spaziergang, stand auf dem Plan. Im Tiergarten senkte sich die Sonne gerade ins helle Grün der Bäume, die Vögel waren am Zubettgehen, und ein paar vereinzelte Menschen kreuzten ab und zu unseren Weg. Eigentlich hatte ich keine Lust, große Reden zu schwingen, aber Karl wollte Geschichten aus meiner Kindheit hören.
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen«, maulte ich. »Alles paletti. Heile Welt, behütete Kindheit, basta.«
»Keine Familie ist heil. Ruf mal bei Gelegenheit Dr. Freud an.«
»Gute Idee.«
Karl biß mich sanft in den Nacken.
»Was machen deine Eltern beruflich?« fragte er.
»Mein Vater erforscht Hugo von Hofmannsthal. Ist derzeit Prof in Tübingen. Koryphäe auf seinem Gebiet …«
Karl ließ einen Pfiff durch die Zähne. »Ach, deshalb hast du Germanistik studiert.«
»Blödsinn! Sollte ich mir das Studium etwa verkneifen, nur weil mein Vater in der gleichen Branche tätig ist?«
»Nein. Natürlich nicht.« Karl grinste und prüfte dabei, ob seine Grübchen noch da waren. »Ich finde solche Zufälle immer nur sehr zufällig.«
»Finde, was du willst!« Ich sprintete ein Stück voraus, Karl kam schnaufend hinterher.
»Und deine Mutter?«
»Fotografierende Hausfrau.«
»Verdient sie Geld mit ihren Fotos?«
»Nö. Sie knipst just for fun. So wie du angeblich Amphibien malst …«
»Geschwister?« fuhr Karl unbeirrt fort.
»Einen Bruder. Kardiologe in Hamburg.«
»Hey, das ist ja tatsächlich die Bilderbuchfamilie. Gebildet, und das Resultat sind zwei so anständige Kinder!«
Ich lief Karl ein zweites Mal davon, diesmal schaffte er es nicht, mich einzuholen. Erst nach ein paar Minuten bekam ich Mitleid und blieb stehen. Meine Familienverhältnisse gingen ihn nichts an, insbesondere nicht die Scheidung meiner Eltern, das ganze Theater bei uns zu Hause, als mein Vater seine neue Geliebte angeschleppt hatte, meine Fast-Magersucht.
»Wie wär’s, wenn du mal was von dir erzählst?« fragte ich Karl, kaum daß er wieder an meiner Seite war. Er schluckte, als stecke ein unbezwingbarer Kloß in seiner Kehle.
»Hab ich das nicht schon im Flugzeug getan?«
»Wenn du all deine abgebrochenen Studiengänge meinst, die dich zu Höherem befähigen, schon …«
»Mein Vater hatte einen Autounfall, als ich drei war. Er war auf der Stelle tot.«
»Oh.«
Etwas unbeholfen sprach ich ihm mein Beileid aus. Karl lächelte matt. Ich nahm derweil eine Haarsträhne in den Mund, um nervös darauf herumzukauen.
»Kannst du dich an ihn erinnern?«
Karl verneinte, fügte dann hinzu, er habe den männlichen Part in der Familie auch nie vermißt.
»Hatte deine Mutter keine … anderen Männer?«
»Glaube nicht. Und wenn, hat sie sie heimlich getroffen.« Er kickte ein paar Steinchen vor sich her. »Sie hätte immerhin die Gelegenheit dazu gehabt. Zweimal die Woche war ich bei meinen Großeltern.«
»Du Armer«, sagte ich mitfühlend und meinte es auch so.
»Gar nicht. Oma und Opa haben mich ständig mit allem möglichen Eßbaren vollgestopft. Vorzugsweise mit Süßigkeiten.«
Karls Lachen klang heiser. »Das Resultat siehst du vor dir.«
Inzwischen waren wir im »Café am Neuen See« angekommen – ein Biergarten mitten im Park –, und da es mir unangenehm war, weiter in Karls Kindheit zu wühlen, überredete ich ihn zu Kartoffelsalat und Würstchen. Natürlich sagte Karl ja. Wenn es ums Essen ging, sagte er immer ja.
Nachdem wir ein idyllisches Plätzchen direkt am Wasser ergattert hatten, redeten wir einfach so über dies und das. Es war merkwürdig, aber je vertrauter wir miteinander wurden, desto stärker hatte ich das Gefühl, von Karl wegzutreiben. Als wären wir nur zwei Spielfiguren auf einem Brett, die eine Zeitlang gemeinsam hin- und hergeschoben wurden, man traf zusammen, überholte sich und warf sich raus, aber
Weitere Kostenlose Bücher