Lügen & Liebhaber
am Ende des Spiels landete man doch wieder in getrennten Tütchen – ich allein gelassen mit meinem wahnwitzigen Liebeskummer.
Es war schon stockfinster, als wir händchenhaltend nach Hause fuhren, und die Einträchtigkeit setzte sich noch fort, als ich zu Karl ins Bett krabbelte. Mitten in der Nacht wachte ich auf.
Bist du denn vollkommen bescheuert? dachte ich. Dieser Mensch von Karl glaubt nun bestimmt, ihr seid ein Paar, und willst du das wirklich?
Kurz entschlossen wechselte ich ins Gästezimmer, was Karl zum Glück nicht mitbekam. Am nächsten Morgen stand er dann plötzlich vor meinem Bett und meinte mit väterlichem Lächeln, ich müsse jetzt aufstehen, wenn ich noch meinen Zugerreichen wolle. Ich verstand diesen Mann nicht. Ich konnte mit ihm umspringen, wie es mir paßte, und immer ließ er es mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Nur beim Frühstück fragte er, wann wir uns wiedersehen würden.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich so ehrlich, wie ich nur sein konnte. Karl musterte mich bekümmert, gab aber keinen Ton von sich. Und da ich ihm nicht zumuten wollte, meine noch um ein Paar Schuhe schwerer gewordene Tasche zur U-Bahn zu schleppen, ließ ich mir ein Taxi rufen.
Keine fünf Minuten später war Karl wieder das gemütliche Schweinchen Dick, das mich zu seiner Herzensdame auserkoren hatte.
»Ich hoffe, du kommst bald wieder«, murmelte er bei unserer Verabschiedung in mein Ohr. »Wenn nicht, komme ich zu dir. Wirst schon sehen.«
Ich wußte nicht, ob das eine Drohung oder eine Liebeserklärung sein sollte. Als ich im Taxi Richtung Bahnhof Zoo gondelte, fühlte ich mich trotz allem geschmeichelt.
*
In Hamburg lag eine bleierne Dunstglocke über der Stadt. Es war kühl, dicke Tropfen pladderten vom Himmel, und die Menschen schauten wie üblich griesgrämig drein.
Statt zu mir zu fahren, schloß ich mein Gepäck im Schließfach am Dammtor ein und flüchtete in der Hoffnung zu Toni, daß diese an ihrem freien Dienstagnachmittag auch wirklich frei machte und sich nicht weiß der Teufel wo herumtrieb. Zwar hatte ich vorher anrufen wollen, doch erst konnte ich meine Telefonkarte nicht finden, und nachdem ich eine neue erstanden hatte, stellte ich fest, daß alle Telefonzellen rund um den Bahnhof außer Betrieb waren.
Ich klingelte Sturm, woraufhin Toni mir in zitronengelbem BH und Boxershorts aus Henriks Unterhosenbestand öffnete.
»Ach, Sylvie«, sagte sie, während sie die Klinke losließ und ins Innere der Wohnung schlurfte. Ihre Begeisterung über meinKommen sprach Bände. »Eines Tages landest du noch ganz dick im Schlamm. Und zwar mit der Nase zuerst.« Sie ließ sich auf ihren knallroten Samtsessel plumpsen, hakte ihre Beine links und rechts über die Lehne, als stünde eine gynäkologische Untersuchung an. In mir krampfte sich etwas zusammen.
»Du bist nicht erwachsen«, schimpfte sie weiter, »du hältst keine Termine ein, man kann sich einfach nicht auf dich verlassen, und überhaupt – deine Libido macht ständig …«, ihre Hände zappelten wild in der Luft herum, »… Purzelbäume!«
Ich ließ mich selten aus der Fassung bringen, aber jetzt war ich schlichtweg platt.
»Soll ich wieder gehen?«
»Nein, du sollst dein Leben überdenken.«
Und das mußte ausgerechnet Toni sagen. Seit ewigen Jahren hockte sie mit ihrem temperamentlosen Fluglotsen-Mann herum und versuchte ihm ein Baby aus den Lenden zu leiern. Da es nachweislich nicht an ihm lag, hatte Toni sich einem diagnostischen Marathon unterzogen, der jeden halbwegs klar denkenden Menschen dazu gebracht hätte, sich doch lieber ein Meerschweinchen anzuschaffen. Gestagentest, Östrogentest, Postkoitaltest, Sims-Huhner-Test, Kurzrok-Miller-Test – ganz abgesehen davon mußte sie sich jeden Morgen für ihre Temperaturkurve ein Thermometer in den Hintern schieben, um zu gegebener Zeit mit ihrem Mann zur Besamung zu schreiten. Demnächst standen ein paar Inseminationen an, und wenn die ergebnislos verliefen, würde man zu den invasiven Untersuchungsmethoden übergehen. Sicher – wer ließ sich nicht gern unter Vollnarkose Bauchhöhle und Gebärmutter spiegeln?
»Warum so aggressiv?« Ich stieß ihr linkes Bein von der Lehne, woraufhin Toni den Halt verlor und halb aus dem Sessel rutschte. Mit zusammengebissenen Zähnen hockte ich mich auf die Lehne.
»Weil ich deinetwegen einen Anschiß nach dem anderen kriege.«
»Wird schon nicht so schlimm gewesen sein.«
»Immer muß ich deinen Mist ausbaden!« jaulte Toni.
Weitere Kostenlose Bücher