Lügen & Liebhaber
an seinem Gesicht abzulesen. Resolut krempelte er die Ärmel seines Karohemdes hoch. Er hatte nicht annähernd so schöne Unterarme wie Oskar und zu allem Überfluß eine winzige sternchenförmige Tätowierung unterhalb des Ellenbogens.
»Wohnst du wieder bei diesem Freund?«
»Nein, bei meiner Cousine.«
»Du hast eine Cousine in Berlin?«
Wahrscheinlich war die Lüge wirklich zu billig, aber als ich Skip erklärte, es handele sich eigentlich um meine Tante, doch da sie in meinem Alter sei, betrachteten wir uns seit Kindesbeinen als Cousinen, stellte er keine weiteren Fragen. Weder wollte er wissen, in welchem Stadtteil sie lebe, noch warum ich denn beim letzten Mal nicht bei ihr untergekommen sei, bot mir aber an, jederzeit zu ihm umzuziehen.
»Sie wäre sicher beleidigt«, murmelte ich. Das verstand Skip natürlich.
Wir plauderten noch ein Viertelstündchen, dann machte ich mich unter dem Vorwand auf den Weg, für das Abendessen einkaufen zu müssen.
»Wie lange bleibst du?« fragte Skip beim Rausgehen. »Wann sehen wir uns?«
»Mal schauen …« Ich räusperte mich. »Eigentlich wollte ich übermorgen zurückfahren.«
»Ruf mich an. Bitte!« Wie nett, daß er davon absah, nach der Telefonnummer meiner Cousine zu fragen.
Skip umarmte mich und preßte seinen Unterkörper gegen meinen. Es folgte ein Kuß, wobei er genauso gierig verfuhr und mir einfach seine Zunge in den Mund steckte. Sein Kuß schmeckte. Ich hatte es schon vergessen.
*
Weshalb war ich in Berlin? Wegen eines Jobs, den ich eigentlich nicht wollte? Wegen Karl, der mich auf Händen trug oder wegen Skip, der alles in allem gar nicht so übel war? Eigentlich konnte ich mich doch divenmäßig zurücklehnen und mich des Lebens freuen, aber es funktionierte nicht. Bei allem, was ich tat, schummelte sich Oskar in mein Bewußtsein, so daß mir langsam der Verdacht kam, daß ich seit Adrianos Abgang nur in den Momenten glücklich war, in denen ich nach etwas gierte, was unerreichbar war Eine Amazone auf der Jagd, und sobald die Beute erlegt war, wurde sie uninteressant.
Abends ließ ich mich von Karl mit einem thailändischen Hühnergericht verwöhnen. Was ich ihm hoch anrechnete: Er hatte seine langjährige Busenfreundin Claudia, Kunsthistorikerin am Jüdischen Museum, eingeladen. So nahm er unserem ersten Abend alles Pärchenhafte, und auch in der Nacht ließ er mich entscheiden, was aus uns wurde. Er platzte nicht in mein Gästezimmer, und ich rührte mich ebenfalls nicht, obwohl wir ja eigentlich zusammen waren.
Am nächsten Morgen begleitete er mich zur Synchronfirma, das heißt, er hatte erst später zu arbeiten und kam nur meinetwegen eine halbe Stunde früher mit. Mein Mund fühlte sich trocken an. Nicht das Kennenlerngespräch als solches machtemir angst, sondern die Vorstellung, vor den Augen fremder Menschen vorsprechen zu müssen. Ich würde versagen, das wußte ich. Auch wenn ich so etwas im Ernstfall konnte, zur Probe ging es garantiert nicht.
Frau Fromm entpuppte sich als eine äußerst sympathische grauhaarige Dame im Leinenanzug. Zum Glück war niemand sonst anwesend, das gab mir sofort meine Selbstsicherheit zurück. Nach einem kurzen Einstiegsgeplänkel erkundigte sie sich nach meinem beruflichen Werdegang. Sie wollte mein Examenszeugnis sehen (was ich natürlich nicht dabeihatte), fragte mich, ob ich disponibel sei, und bot mir eine Tagesgage an, die vermutlich selbst meinen wertgeschätzten Dad beeindruckt hätte.
»Wenn Sie mit den Konditionen einverstanden sind und vom 3. bis zum 23. Juli Zeit haben, würden wir Ihnen eine Rolle in ›Wunderbusen vom Montmartre‹ anbieten.« Sie sah in ihre Unterlagen. »Piggy Brown …«
Ich verkniff mir ein Grinsen und nickte. »Kein Vorsprechen?« fragte ich, wofür ich mich augenblicklich hätte ohrfeigen mögen.
Frau Fromm schüttelte den Kopf. Ihre Leinenjacke war wirklich klasse geschnitten. »Der Probe-Take, den wir von Ihnen haben, reicht vollkommen.«
»Ja«, sagte ich und merkte erst jetzt, wie schweißnaß meine Beine an der Stelle waren, wo ich sie übereinandergeschlagen hatte. Wir tauschten noch ein paar Platitüden aus, dann war ich draußen. Den Vertrag würde man mir zuschicken.
Wie auf Wolken schwebte ich aus dem Studiogebäude. Jetzt war ich also Pornosynchronsprecherin – oder wie nannte sich dieser Beruf gleich? Karl konnte ich die glückliche Nachricht nicht sofort übermitteln, er war am Arbeiten, und wir hatten uns für den Abend verabredet. Wen also
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