Lügen & Liebhaber
Dafür hatte ich also Nägel mit Köpfen machen müssen.
Toni wechselte sofort das Thema und erzählte mir von den traumhaften Schuhen, die sie sich gestern gekauft habe.
»Was für welche?«
»Schwarz und spitz und … irgendwie ziemlich ungewöhnlich.«
Jetzt sagte ich »fein« und hielt die Sache damit für beendet, aber für Toni fing der Spaß erst an.
»Na, willst du nicht auch solche haben?« stichelte sie.
»Keine Ahnung … Wieso?«
»Weil du keine spitzen Schuhe besitzt.«
»Meine Füße sind zu breit, außerdem – vielleicht gefallen sie mir ja gar nicht.«
»Bei Schuhen bist du doch sonst nicht so wählerisch.«
»Hör mal, was soll das? Ich stehe hier neben meiner unausgepackten Tasche und habe keine Lust, mich über Schuhe zu unterhalten!«
»Ach so.« Toni hustete in den Hörer.
»Ja. Ach so. Wann fängt Aida morgen an?«
»Acht. Sieben Uhr Maske. Halb acht Stellprobe.«
Ich wollte schon das Gespräch beenden, als Toni mir noch mitteilte, daß es morgen nach der Vorstellung wegen der bevorstehenden Spielzeitpause einen kleinen Umtrunk geben würde. Schampus und Häppchen gratis. Das war doch mal was.
Nachdem wir endlich aufgelegt hatten, fühlte ich mich schrecklich einsam. Ich öffnete meine Tasche, nahm die Schuhe heraus und schleuderte sie einmal quer durchs Zimmer. Wen konnte ich schon anrufen, wenn es mir richtig mies ging? Klar, Toni, aber irgendwie mußte sie immer gerade irgendeine gynäkologische Untersuchung über sich ergehen lassen, sich von Henrik besamen lassen oder an der Oper arbeiten. Karl hätte so etwas wie eine zentrale Kummer-Anlaufstelle werden können, aber das hatte ich selbst verbockt. Ansonsten war die Welt trist und leer. Zu meinen Kommilitonen hatte ich immer nur oberflächliche Beziehungen gehabt, meine Mutter sollte sich nicht mit meinen Problemen belasten, und die paar Semi-Freunde, die ich hatte, eigneten sich schon gar nicht als Katalysator für meine Kümmernisse.
Was war mit Oskar? Gemeinsame Jugenderinnerungen verbanden doch, andererseits sollte man sich nicht gerade bei Männern ausheulen, an denen man ein erotisches Interesse hatte.
Nachdem ich die im Zimmer verstreuten Schuhe wieder eingesammelt und die Wäsche in die Waschmaschine gestopft hatte, hockte ich mich mit einer Tasse Kamillentee in die Küche und dachte über eine Strategie nach, wie ich möglichst unauffällig Oskars Zuneigung erwerben könnte. Was für einen Eindruck machte es, wenn ich ihn sofort anrief? Die Frau hat Notstand, so wie sie mir hinterherläuft? Andererseits – was brachte esschon, gegen sein Gefühl künstliche Sperrzeiten zu verhängen? Und wenn ich morgen vor der Oper bei ihm im Laden vorbeischaute? Hallo, Oskar, ich war grad zufällig in der Nähe, zeig mir doch mal dein Geschäft … Die Idee war nicht schlecht. Ich würde nicht zu penetrant erscheinen und könnte ihm ganz beiläufig eine Verabredung aus den Rippen leiern.
*
Oskar stand hinter dem Tresen, breitete schwungvoll einen Anzug darauf aus und strich immer wieder zärtlich über den Stoff, während er mit der anderen Hand wild vor einem Kunden herumgestikulierte. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, aber seiner Mimik nach zu urteilen mußte er da ein ganz besonders feines Teil vor sich haben. Jetzt war der Kunde mit Streicheln dran. Er befühlte den Stoff, nahm den Ärmel zwischen Daumen und Mittelfinger und rieb ihn in kreisenden Bewegungen, bevor er mit der ganzen Handfläche über die Jackettvorderseite fuhr. Schließlich hob er die Jacke hoch, hielt sie prüfend gegen das Licht, vielleicht um festzustellen, ob sie nicht schon von Motten angefressen war.
In diesem Moment entdeckte Oskar mich. Ich kam mir reichlich albern und spannerhaft vor auf meinem Stützpunkt am Rand des Fensters, aber Oskar winkte mich freundlich lächelnd hinein.
Ein eigentümlich chemischer Geruch lag in der Luft, als ich den Laden betrat. Wahrscheinlich waren die vielen, noch ungetragenen Klamotten schuld daran.
»Sylvie, ciao, sieh dich ruhig ein wenig um«, begrüßte mich Oskar, um sich sogleich wieder seinem Kunden zuzuwenden. Dieser faselte gerade etwas von einem Armani-Zweiteiler; bei dem nach nur einem Jahr die Hosennaht geplatzt war.
»Das wird Ihnen bei diesem Anzug sicher nicht passieren«, flötete Oskar. »Und wenn doch, bringen Sie ihn einfach wieder zurück.«
»Verarbeitet Smith wirklich die besseren Stoffe?« fragte derKunde, woraufhin Oskar ihm auch darauf eine im Rahmen seiner Verkaufsstrategie
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