Lügen & Liebhaber
einigermaßen einträchtig und ohne groß was zu sagen in den vierten Rang. Toni wurde sogleich von der Chefankleiderin Angie abgefangen, wohingegen ich mich mit einem eingeschüchterten Henrik und einem Gläschen Sekt in einem Eckchen herumdrücken durfte. Ich hätte nichts dagegen gehabt, ein paar Takte mit Bernd zu quatschen, aber der wich einem Statisterie-Neuzugang mit maisgelb gefärbten Haaren und Ziegenbart nicht von der Seite, und da ich zu allem Überfluß auch noch für den Bruchteil einer Sekunde Konstantin in der Menge wahrgenommen hatte, hängte ich mich mit vorgespielter Begeisterung an Henrik. Ich befürchtete, er würde so indiskret sein und mit neuesten Reproduktionsforschungsberichten aufwarten oder mich gar mit seinem Fluglotsenkram langweilen, aber irgendwie bewirkte ein halbes Glas Sekt bei ihm, daß er mit einem mir bisher unbekannten Sinn für Humor über seine Vorliebe für amerikanische Literatur sprach. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, doch hinter dem sonst so drögen Henrik steckte ein ganz anderer, ein Mann, den es sich lohnte näher kennenzulernen, undzum ersten Mal konnte ich überhaupt nachempfinden, was Toni an ihrem Dauerexemplar schätzte. Henrik war unterhaltsam, kein bißchen angeberisch, außerdem vermittelte er einem ohne jede Anbaggerei das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein.
Gegen halb zwölf gesellte sich Toni zu uns. Sie entschuldigte sich tausendfach und hielt sich ihre glühenden Wangen.
»was ist los?« fragte ich. Vermutlich war etwas wirklich Außergewöhnliches passiert.
»Ich hab einen neuen Job.« Toni lachte so sehr, daß sich ihre Oberlippe über ihr Zahnfleisch schob. »Solistengarderobe.«
»Na super. Dann häng mal schön die Kostüme der verschwitzten Solisten auf.«
Tonis Lachen erstarrte zur Fratze, und als auch Henrik keine Anstalten machte, ihr zu gratulieren, kehrte sie auf dem Absatz um und lief davon.
»Oje. Das hätte ich wohl besser nicht sagen sollen.«
Henrik nickte und sah mich auf einmal sehr traurig an.
»Also, einer von uns sollte ihr jetzt nachgehen«, entschied ich, und da Henrik immer noch nicht reagierte, schubste ich ihn von mir. »Sag ihr bitte, es tut mir leid.«
Und dann passierte das Unvermeidliche. Im selben Moment, in dem sich Henrik entfernte, kam Konstantin geradewegs auf mich zu, verschlagen lächelnd, die Daumen jeweils links und rechts in die Schlaufen seines Jeansbundes gehakt. Vermutlich hatte er die ganze Zeit nur darauf gelauert, daß ich mal eine Sekunde lang allein herumstehen würde. Ich sah mich um, alle Fluchtwege waren durch Sekt schlürfende Menschen versperrt, Konstantin bleckte jetzt die Zähne und krallte sich kurz darauf an meinem Arm fest.
»Stanislaw und du …«, sagte er sehr dicht an meinem Ohr, »das sah aus wie Tänzer und Kleiderbügel.«
Ich schüttelte Konstantins Hand ab. »Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest.«
Unter Einsatz meiner Ellenbogen arbeitete ich mich bis zum Klo vor. Dort verschnaufte ich erst mal eine Weile, bevor ichmich vor dem Spiegel für Oskar zurechtpuderte. Es war mir ein absolutes Rätsel, wie Konstantin es immer wieder schaffte, daß ich mich über ihn ärgerte. Er hatte schlichtweg keine Bedeutung mehr in meinem Leben. Und das würde sich auch in Zukunft nicht ändern.
Es war zwar noch weit vor Mitternacht, als ich das Operngebäude verließ, aber lieber stand ich mir draußen die Beine in den Bauch, als noch einmal Konstantin oder einer eingeschnappten Toni über den Weg zu laufen.
Die Luft war angenehm mild, und es nieselte ein wenig. Ich schaute in den Himmel, der sich wie eine schmutzig-graue Plane über die Stadt gelegt hatte, und versuchte umzuschalten. Von Henrik, Toni und Konstantin auf Oskar. Auf den Mann mit den schönen Unterarmen. Er war so eindeutig schwul und ich so eindeutig verknallt. Bi – von wegen! Vielleicht hatte er sich nur mal eine Nacht hinreißen lassen oder einer Freundin mit Kinderwunsch einen Gefallen getan. Ich konnte ihn mir abschminken, das würden die kommenden Stunden mit Sicherheit unter Beweis stellen.
Eine Minute nach zwölf fing ich an, mich zu ärgern. Wieso kam er um diese Uhrzeit auch noch zu spät und ließ es zu, daß meine dünnen, schon leicht abgelaufenen Ledersohlen langsam durchweichten? Ich trat nach vorn an die Bordsteinkante, sah die Straße hinunter, und dann war plötzlich Konstantin an meiner Seite.
»Du solltest hier aber nicht allein im Dunkeln herumstehen«, sagte er und fügte in
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