Lügen & Liebhaber
zittrigen Händen wählte ich seine Nummer – für mich ein absolutes Novum. Wenn’s hoch kam, hatte ich ihm mal von der Uni eine Geburtstags-E-Mail geschickt oder aus dem Urlaub eine Postkarte.
»Senta«, meldete sich meine Halbschwester.
»Sylvie, hallo. Ich hätte gern …«
»Dad!« kreischte Senta, bevor ich auch nur meinen Satz zu Ende sprechen konnte.
Der Hörer wurde hingeknallt, Stimmengewirr, dann vernahm ich das Geklapper von Stöckelschuhen auf Parkettboden oder Steinfliesen – vielleicht. Sendepause, auf einmal das Besetztzeichen. Das war ja wohl nicht zu fassen! Wenn die Idiotenfamilie glaubte, ich würde noch einmal mein nicht vorhandenes Geldfür Ferngespräche dieser Art ausgeben, hatte sie sich geschnitten.
Wenig später schrillte das Telefon, und mein Vater entschuldigte sich. Caroli hätte aus Versehen den Hörer aufgelegt. Sie sei in dem Glauben gewesen, ihr Exfreund wolle sie behelligen. Mein Vater lachte laut und bellend. Also konnte es ja wohl nicht so schlimm um ihn stehen.
»Was ist los?« fragte ich gereizt. »Muß ich mir Sorgen machen?«
»Sorgen? Wieso?«
»Wie oft hast du im letzten Jahr bei mir angerufen?«
»Sylvie, du weißt, wie sehr ich im Streß bin …«
»Also – was gibt es?«
»Deine Mutter meinte, du hättest einen fabelhaften Job in Berlin?«
»Wir haben schon drüber gesprochen – falls du dich erinnerst. Und neulich fandest du’s noch gar nicht so fabelhaft .« Ich lachte genauso aufdringlich, wie er es eben in Anbetracht von Carolis Fauxpas getan hatte.
»Erzähl doch noch mal. Was genau tust du da?«
»Komm, Horst, interessiert dich das wirklich?« Es war das erste Mal, daß ich meinen Vater mit Horst anredete, aber die alte, vertraute Papa- Form fand ich unpassend, und Dad hätte ich höchstens über die Lippen gebracht, um ihn zu provozieren.
»Du synchronisierst also Filme, ja?«
»Ich spreche die lippensynchronen Texte.« Scheiße, Scheiße, viel lieber würde ich jetzt mit Oskar plauschen.
»Was denn für Filme?«
»Amerikanische«, antwortete ich trotzig.
»Aber … Sagen wir … Anspruchsvoll sind sie immer noch nicht, oder?«
» Dad , so kommen wir nicht weiter. Was willst du?«
»Dir ein Angebot machen, Liebes.«
Ach so! Bestimmt sollte ich ihm meine Seele verkaufen und ein von ihm geplantes Leben führen. Warum bloß? Was für einen Nutzen hätte er davon?
»Paß auf, einer meiner Kollegen am Institut, Prof. Dr. Reuschenbach, braucht eine Assistentin. Relativ gut bezahlter Job.«
»Was soll ich denn in Tübingen?«
»Promovieren. Ich hätte sogar ein Thema für dich.«
Nicht dein Ernst, dachte ich und sagte: »Und was für eins?«
»Heinrich Manns Italienbild. Das dürfte dich interessieren.«
»Nein, das interessiert mich nicht. Mich interessieren nur billige amerikanische Pornos.«
Schon hatte ich aufgelegt und biß mir, wie um einen vordergründig unerträglichen Schmerz zu betäuben, in die Hand. Dann legte ich den Hörer daneben. Nicht daß mein Vater auf die Idee kam, noch einmal anzurufen.
*
Schlimm genug, daß meine Mutter es mir damals gesagt hatte. In jener Nacht nach der Abifeier Wir saßen angeheitert von ein paar Gläsern Sekt in der Küche und freuten uns über meinen guten Notendurchschnitt. 1,5 – damit stand mir die Welt offen. Außerdem hatte ich auf dem Fest mit einem meiner Lehrer geflirtet. Herr Danker hieß er, Geographie und Deutsch, für einen Moment hatte er mir das Gefühl gegeben, erwachsen und begehrenswert zu sein.
Als es draußen bereits hell wurde und die Vögel anfingen, das schönste Konzert ihres Lebens zu geben, bestand ich darauf, nach dieser wunderbaren Nacht noch einen Kaffee zu trinken. Meine Mutter nickte nur und hörte auf zu lächeln. Ganz plötzlich. Sie ging an die Spüle, um Wasser in den Kessel zu füllen, und als sie sich mir gegenüber niederließ, war sie blaß.
»Du bist ja jetzt sozusagen erwachsen«, begann sie ganz diplomatisch. »Und ich finde, du hast ein Recht darauf, es endlich zu erfahren.«
»Was?« Meine Knie zitterten unmerklich, und mir war entsetzlich kalt.
»Du warst ein Unfall.«
»Was heißt das – ein Unfall?« Ich stellte die Frage, obwohl ich in diesem Moment alles andere lieber gefragt hätte.
»Wir hatten dich nicht geplant, Liebes …«
»Ja und? Soll häufiger vorkommen.« Obwohl ich mich so locker gab, stockte mir der Atem.
Meine Mutter druckste noch eine Weile herum, bis sie endlich damit rausrückte: »Dein Vater … Er hatte die Abtreibung
Weitere Kostenlose Bücher