Lügen & Liebhaber
schon klargemacht …«
Das war zuviel. Ich lief einfach aus der Küche und dachte, nun bist du wirklich erwachsen. Keine Illusionen mehr, so schnell geht das.
Später redeten meine Mutter und ich oft über das Thema. Sie selbst hatte nicht eine Sekunde lang an Abtreibung gedacht. Im Gegensatz zu ihm. Er wollte halt kein zweites Kind, nachdem er schon einen so gelungenen Sohn fabriziert hatte, und wahrscheinlich spielte meine Existenz bei seinem Entschluß, uns zu verlassen, eine nicht unerhebliche Rolle. Ich war schuld an allem, ich hatte mich ja unbedingt in diese Welt gedrängt. Und meine Mutter hielt es auch noch für ihre Pflicht, mich möglichst schonungslos aufzuklären, mir keins der grausamen Details zu ersparen. Wie oft mein Vater sie bekniet hatte, endlich in die Klinik zu gehen, ein Argument nach dem anderen hatte er aufgefahren, und als sie sich doch nicht erweichen ließ, kein Wort mehr mit ihr gewechselt.
Jetzt war ich plötzlich wieder Zielscheibe seiner Erziehung. Genau in dem Moment, in dem ich etwas tat, das ihm gegen den Strich ging, das in seinen Kreisen nicht salonfähig war. Synchron! Wo dieser Ausrutscher Sylvie schon das Examen bestanden hatte, sollte sie gefälligst auch promovieren, wenn auch nur, um den Hofmannsthal-Kollegen zu imponieren. Sieh an, das hat der Horst aber gut hingekriegt, ein Mädchen, das in seine Fußstapfen tritt.
Manchmal verfluchte ich den Tag, an dem ich beschlossen hatte, mich für dieses verdammte Fach zu bewerben. Hätte ich nicht Sinologie studieren können oder Physik? Nein, es mußte ausgerechnet Germanistik sein und hatte dabei so wenig mitmeinem Vater zu tun. Glaubte ich zumindest, auch wenn er seinerseits das Gegenteil annahm. Immerhin war er deshalb so nett gewesen, sechs Jahre lang seinen Obolus zu leisten, sprich, mir monatlich 650 Mark zuzuschießen. Ich hatte mehr oder weniger dankend angenommen und gedacht, laß den Alten ruhig blechen, laß ihn einen Teil seiner Schuld abtragen.
Doch jetzt war Schluß – definitiv. Jahrelang hatte ich ihn einen Scheißdreck interessiert, aber nun, wo die Möglichkeit bestand, sich mit mir zu schmücken, wurde ich aus der Trickkiste gezerrt. Die Rechnung hast du ohne mich gemacht, Dad ! Greif doch auf deine dumpfbackigen Techno-Kids zurück oder auf meinen Bruder, deinen phantastischen Kardiologensohn.
Ein bißchen nahm ich es Thomas schon übel, daß er das Herrschergebaren meines Vaters immer so völlig kritiklos geschluckt hatte. Sicher, er war ja auch bestens mit ihm zurechtgekommen: Erstgeborener, Wunschkind, zudem männlichen Geschlechts, tadellose Laufbahn – abgesehen von seiner pubertären Kifferei, doch die hatte mein Wer ganz schnell als jugendliche Verfehlung ad acta gelegt.
*
Gäbe es eine wirksame Methode, sich effektiv und schmerzfrei aus dieser Welt zu beamen, ich hätte es getan. Zumindest die fünf Stunden nach dem Aufwachen am nächsten Morgen.
Man sollte nicht zuviel trinken und schon gar nicht Fusel. Ich fühlte mich so sterbenselend wie nie zuvor in meinem Leben. Bei jeder und sei es noch so minimalen Bewegung schmerzte mein Kopf, als würde mir jemand mit dem Hammer draufschlagen. Gut, ich hatte die zwei Flaschen geschafft, und zur Strafe mußte ich alle halbe Stunde zur Toilette rennen und kotzen. Gegen halb drei schaffte ich es endlich, mir einen schwarzen Tee zu kochen, der auch in meinem Magen blieb. Nie wieder rührst du einen Tropfen an, schwor ich mir.
Eigentlich wußte ich nicht so recht, wie ich weiterleben sollte,ganz allgemein und überhaupt. Von meinen Männern hatte ich weder Trost noch vernünftige Ratschläge zu erwarten, und Toni war viel zu sehr in ihr eigenes Befruchtungsdrama verstrickt, um mir zur Seite stehen zu können. Es gab nur eine Möglichkeit: Ich mußte mich endlich aufraffen und etwas aus meinem Leben machen. Also sprach ich mir Mut zu, und nachdem ich geduscht hatte, kaufte ich – diesmal zum Glück unbehelligt – nur gesunde Lebensmittel ein. Pfirsiche, Vollkornbrot, Quark, Milch, Kartoffeln und Kresse. Keinen Alkohol. Nie wieder einen Tropfen …
Zu Hause bestrich ich in aller Ruhe ein Brot mit Quark und sah die Post durch. Vielleicht sollte ich gleich noch Oskar aufsuchen – oder besser nicht? Ein Brief von meiner Bank. Ich hatte meinen Dispo um ein paar Mark überzogen. Reflexartig dachte ich daran, rasch ein Glas Wein zu trinken, aber es ging ja nicht, also schenkte ich dem Brief ein nonchalantes Lächeln und öffnete den zweiten Umschlag, der
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