Lügen & Liebhaber
keinen Absender trug.
Eine Seite in akkurat gemalten Druckbuchstaben, Liebe Grüße von Skip stand am Ende.
Mit einigem Herzklopfen begann ich zu lesen:
Liebe Sylvie ,
wie soll ich sagen, ich muß immer an Dich denken, ja, so ist es nun mal. Schade, daß Du einfach abgehauen bist … Es tut mir leid wegen … na, Du weißt schon. Und es ist auch nicht immer so, daß es nicht … he, Du weißt schon … nur manchmal eben, wenn ich völlig fertig bin wie an diesem Tag …
Ich fände es jedenfalls schade, wenn das alles gewesen sein sollte. Du hast so eine unnachahmliche Art, einem immer direkt zu sagen, was Du denkst. Das mag ich an Dir. Ja, wirklich!
Übrigens: Bin bald wieder in Hamburg. Wenn Du keinen Einspruch erhebst, melde ich mich bei Dir …
Liebe Grüße von Skip
Ein hübscher Brief, durchaus schmeichelhaft, aber ich fand es erschreckend, daß Skip offensichtlich gar nichts begriffen hatte. Mich hielt er für geradeheraus, wo ich ihm eine Lüge nach der anderen auftischte. Was war das bloß für ein Mann? Suchte sein Glück am völlig falschen Ort.
Ein Blick auf die Uhr. Wenn ich mich beeilte, würde ich es noch schaffen. Mit dem bißchen Energie, das mir seit knapp zwei Stunden wieder zur Verfügung stand, schminkte ich mich eilig, zog trotz Nieselwetter meine aktuellen Lieblingsschuhe an, flache Ballerinas in Bordeaux, und schon war ich draußen.
Auf dem Weg zur U-Bahn dachte ich einen Moment, ich müsse mein Quark-Kresse-Brot wieder auskotzen, aber ich zwang mich, an nicht eßbare Dinge wie Schnürsenkel und Sommerwolken zu denken, und prompt ging es mir besser.
Oskar war noch im Laden – zum Glück. Atemlos zog ich die Tür auf, bemerkte erst jetzt, daß er gerade zwei Männer – einen hochgewachsenen Japaner und einen kleinen Rothaarigen – bediente. Oskar nickte mir nur kurz zu, was wohl soviel hieß wie Gib mir bloß nicht vor meiner Kundschaft einen Kuß – das wäre wirklich zu blamabel .
Ich verzog mich an das Regal mit den Pullovern, befummelte lustlos den einen oder anderen 1000 Mark teuren Pulli und überlegte, warum mich die knappe Geste schon wieder so verletzt hatte. Erwartete ich denn etwa, daß Oskar mit fliegenden Fahnen auf mich zugelaufen kam, mich in seine Arme schloß und mir vor seiner Kundschaft einen Heiratsantrag machte? Natürlich tat ich das nicht. Aber nach seinem pubertären Kicheranruf hätte ich mir wenigstens ein Lächeln gewünscht, irgendein geheimes Zeichen, das Außenstehenden klarmachte, zwischen uns beiden läuft was.
»I can offer you a special price«, sagte Oskar gerade zu dem Rothaarigen, der ein beiges Poloshirt hochhielt, um die Stoffqualität zu prüfen.
»How much?«
»Fivehundred.«
»How amazing!«
Das war der Japaner. Er lächelte gewinnend und zückte sofort sein Portemonnaie. 500 Mark für ein simples Poloshirt fand ich auch sehr amazing, zumal es jetzt ans Bezahlen ging und damit die Chancen stiegen, daß Oskar sich gleich mir zuwenden würde. Doch weit gefehlt: Kaum hatte Oskar den Kreditkartenzirkus hinter sich gebracht, das günstige Shirt mit einem Hauch von Papier umhüllt und in eine Papiertasche mit dem schwarzweißen »Lui«-Logo gleiten lassen, zerrte der Japaner einen Anzug nach dem anderen von der Stange, außerdem betrat ein weiterer Kunde, ein älterer Herr an einem Krückstock mit silbernem Knauf, das Geschäft. Oskar begrüßte ihn überschwenglich per Handschlag und dirigierte ihn dann zu einem Rattanstuhl, der einzigen Sitzmöglichkeit im Laden.
»Herr Petersen, ich bin gleich bei Ihnen«, flötete er, woraufhin ich ihn kurz beiseite nahm und ihm zuraunte, ich würde draußen auf ihn warten.
»Vor acht komme ich hier nicht raus.« Wie zur Entschuldigung ließ Oskar seine Hände in die Luft fliegen. »Wollen wir uns nicht um Viertel nach acht auf einen Happen bei ›Essen & Trinken‹ treffen?«
Oskar ging wohl davon aus, daß ich sowieso zusagen würde, aber da war ich schon nach draußen getaumelt und stützte mich an einem Hydranten ab. Ein richtig heftiger Guß hatte den Nieselregen abgelöst, das Wasser stob mir ins Gesicht und machte alles zunichte, was ich vorhin zu Hause mit viel Mühe aufgelegt hatte. Am besten ging ich jetzt wieder in den Laden und sagte, tut mir leid, Chef, ich bin nicht in der Stimmung, jetzt mit dir essen zu gehen, außerdem habe ich kein Geld, aber natürlich war ich viel zu feige. Statt dessen suchte ich in der »Galeria« Zuflucht. Ich schlenderte von Schaufenster zu Schaufenster,
Weitere Kostenlose Bücher