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Luegenbeichte

Luegenbeichte

Titel: Luegenbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Doelling
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schon?« Er verschränkte die Arme vor der Brust und drehte sich um. »Oder ist hier etwa jemand, den es interessiert, ob meine kleine Schwester sauer wird?« Er guckte sich demonstrativ nach rechts und nach links um. »Nein. Siehst du, Josi, es interessiert überhaupt keinen, ob du sauer wirst. Und bevor ich dich gehen lasse, will ich erst noch ein bisschen mit dir spielen.«
    »Ich aber nicht mit dir. Mach die Tür auf, sofort!«
    »Erst noch ein bisschen unterhalten.«
    »Nein!«
    »Doch! Ich muss dir nämlich dringend ins Gewissen reden, weil du auf dem falschen Weg bist, Josefine. Du kannst der Versuchung des Fleisches nicht widerstehen.« Seine Augen weiteten sich. »Ich weiß, es ist nicht deine Schuld, es ist unsere verdorbene Gesellschaft, die dich zu dem macht, was du geworden bist. Davorwill ich dich beschützen.« Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Noch bist du nicht verloren, noch kannst du Buße tun und wieder auf den rechten Weg kommen. Dafür musst du allerdings ein paar Lektionen lernen …« Er legte den Kopf schräg. Sein Mundwinkel zuckte. Dann fuhr er fort, mit dieser komischen hohen Stimme: »Josi, Josi, ich bin so enttäuscht von dir … nach allem, was ich für dich getan habe …«
    Was faselte er da für einen Quatsch?
    »Ich habe dich vor dem Bösen beschützt, für dich Kerzen angezündet, Licht gebracht, für dich gebetet, dass du nicht vom rechten Weg abkommen mögest …«
    Kerzen – Licht. Sie konnte nicht denken, mit Robert vor sich. Er versank nun in einen seltsamen Monolog, den er wie ein Mantra herunterbetete – oder tatsächlich wie ein Gebet. Wovon redete er nur? Es hörte sich an wie Bibelstellen, vermischt mit seinen eigenen verqueren Gedanken. Josi steckte die Hände in die Hosentaschen, versuchte, möglichst langsam zu atmen, um ihren Puls zu beruhigen. Sollte sie schreien? Nein, sie durfte nicht durchdrehen. Sie musste Ruhe bewahren. – Das Haus war leer, sie musste Hilfe von draußen holen.
    Mit der rechten Hand tastete sie in der Hosentasche nach ihrem Handy. Der letzte Anruf war an Barbara, sie hatte sie vorhin noch von der U-Bahn aus angerufen, ob sie bitte ihren iPod aufladen könnte. Das hatte sie nämlich total vergessen. Sie wollte heute Abend unbedingt Musik hören.
    Ihr Herz raste. Sie musste nur mit einem Klick ins Menü und den letzten Anruf reaktivieren, und dannwürde sie Barbara ganz schnell sagen, dass sie bei Robert sei, und Robert würde sie sagen, sie habe Barbara am Apparat – seine Barbara. Das würde ihn sofort milde stimmen und ihm den Wind aus den Segeln nehmen. Dann würde er sie gehen lassen.
    Aber das Handy war im Standby-Modus. Sie musste erst den verdammten Code eingeben. Wie sollte sie das, ohne zu gucken, schaffen? Sie versuchte sich die Tastatur bildlich vorzustellen 3 – 2 – 4 – 7. Ihr Daumen glitt über die glatte Oberfläche ihres Smartphones. Die 3 war oben, außen, die 2 links daneben. Sie tippte. Robert redete unbeirrt weiter, also hatte er nichts gemerkt. Gut. Hätte sie doch bloß noch ihr altes Nokia, mit greifbarer Tastatur! Sie musste sich voll konzentrieren und durfte sich nichts anmerken lassen.
    Die 4 war unter der 1 und die 7 darunter. Sie tippte – ein kurzer Signalton ertönte: falscher Code. Mist! Robert guckte zu seinen Computern. Gut. Er hatte nichts bemerkt. Sie tastete sich wieder um das Gehäuse nach oben, zur 3, und fing von vorne an.
    »Du bist nicht bei mir, Josi, ich sehe es dir an. Du hörst mir nicht zu, Josi.«
    »Doch«, sagte sie. »Und es ist ganz toll, dass du dich um mich kümmern willst, aber du brauchst dich nicht um mich zu kümmern, Robert. Ich komme sehr gut allein klar, ich –«
    »Kommst du nicht. Das habe ich ja gesehen«, schnauzte er sie an.
    »Robert, wir haben uns so lange nicht mehr gesehen, wir –«
    »DU hast mich lange nicht mehr gesehen«, zischte erund kam noch einen Schritt auf sie zu. Er stand jetzt ganz dicht vor ihr. Josi nahm die Hände aus den Hosentaschen und ging einen Schritt zurück.
    »Ich habe dich immer gesehen. Dich und Lou, und alles war gut, bis du Max verführt hast. Du bist eine Schlange, wie Marina und meine Hurenmutter, du bist genauso verdorben –«
    »Robert. Jetzt reicht's! Wenn du mich jetzt nicht gehen lässt, schreie ich.«
    Er drehte den Kopf zur Fensterseite und sagte in einem leisen, aber sehr bestimmten Ton, sehr langsam und deutlich: »Läden schließen!« Und dann ruckten die Rollläden an den Fenstern und setzten sich gleichzeitig in Bewegung.

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