Lügennetz: Thriller (German Edition)
Richtung Straße. Ich fluchte. Da die Mauer schräg über den Strand hinausragte, würde ich nur schwer hinaufklettern können. Die Kante des Metallgeländers befand sich etwa einen Meter über meinem Kopf.
Ich musste vier Mal von einem großen Stück Treibholz nach oben springen, bis ich das Geländer zu fassen bekam. Weil die Mauer so weit entfernt war, konnte ich mich nicht mit den Füßen abstützen, sondern hing einfach da und schaukelte hin und her, um meine schweren Stiefel hinaufzuhieven. Plötzlich hörte ich ein Platschen hinter mir.
Bitte lass es eine Schildkröte sein, betete ich.
» Nina? Da bist du ja. Warte « , rief der Fallschirmmörder mit seltsam ruhiger Stimme hinter mir aus dem Wasser.
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» Wie es mir geht, wolltest du wissen? «, fuhr er, durchs Wasser watend, fort. » Schauen wir mal. Mein Schlüsselbein ist gebrochen, mein Gesicht ist zerfetzt, und in einem meiner Augen stecken eine Menge Glassplitter. Ansonsten geht es mir prächtig. «
Ich begann zu schreien, schwang mein Bein so weit nach oben, wie ich konnte. Diesmal bekam ich sogar die Spitze meines vollgesaugten Stiefels auf das Geländer, doch ich rutschte wieder ab und baumelte hilflos in der Luft. Das Platschen hinter mir wurde lauter. Ich schrie bei meinem nächsten Versuch. Ich verfehlte wieder. Ich war viel zu panisch.
» Machen deine Arme schlapp? « , fragte der Fallschirmmörder. Das Platschen war zu einem Rascheln geworden– er hatte das Gebüsch erreicht. » Was machst du da überhaupt? Weißt du nicht, dass es verboten ist, einen Unfallort zu verlassen? «
Gleich würde er bei mir sein. Meine Arme fühlten sich an wie nasse Spaghetti. Noch ein Versuch. Ich schaukelte mit den Beinen nach oben. Und verfehlte das Geländer.
» Netter Versuch, Nina. Fast hättest du es geschafft « , sagte er direkt unter mir, als meine Beine wieder heruntersackten.
Ich trat blind hinter mich. Meine schweren Stiefel knallten– o welche Freude– in sein Gesicht. Er stieß einen erstickten Schrei aus, sank auf die Knie und hielt die Hände vor seine Nase.
Mit letzter Kraft wechselte ich den Griff, machte einen Klimmzug und legte meinen rechten Arm ums Geländer. Ich hatte das Gefühl, ein Muskel würde reißen, als ich übers Geländer hinwegrollte und auf die Straße purzelte.
Und das donnernde Grollen eines heranbrausenden Lasters hörte.
Das ist doch wohl ein Witz, dachte ich, als ich, von den auf mich zukommenden Scheinwerfern geblendet, auf dem Bauch auf der Straße lag. Ich konnte den immer größer werdenden Lichtern nur entgegenstarren. Der Laster hupte, die Bremsen gaben ein schleppendes Zirpen von sich.
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Der Laster hielt mit einem ohrenbetäubenden Lärm der Luftdruckbremsen zwei Meter vor mir. Von meiner Position aus wirkte der Kühler des donnergrollenden Ungetüms wie ein Hochhaus. Mein Herz schien stehen geblieben zu sein. Ebenso wie fast alle meine Hirnfunktionen.
» Sind Sie denn völlig übergeschnappt? « , rief jemand.
Ich sah nach oben. Weit über mir streckte eine blonde Frau mittleren Alters wütend ihren Kopf aus dem Beifahrerfenster.
Sie sprang aus der Fahrerkabine und riss mich unsanft hoch. Ich konnte nur dastehen und sie anstarren. Sie gehörte zu den dicken Frauen, die man mit einigen Pfunden weniger für wunderschön halten würde. Als hätte ich im Moment keine anderen Probleme. Ich litt mittlerweile unter posttraumatischen Störungen.
» Wie dumm kann man nur sein? « , schimpfte sie und schüttelte mich. » Weißt du überhaupt, was für ein Glück du hattest, dass dich mein Mann nicht überfahren hat? Was ist los mit dir? Du bist ja pitschnass. Bist du betrunken? Oder mit Drogen vollgepumpt? «
Mit offenem Mund sah ich zurück zur Betonmauer, die ich gerade hochgeklettert war, und wieder zur Frau. Wo steckte der Fallschirmmörder? Würde er gleich dort auftauchen? Oder versteckte er sich? Oder floh?
» Sie redet nicht, Mike « , rief die Frau zum Fahrer. » Ich glaube, sie ist so eine Ausländerin. Ruf über Funk die Polizei. «
» Nein, halt « , brachte ich schließlich heraus.
Ich wollte ihr sagen, was passiert war und dass ich gerade dem Fallschirmmörder begegnet war, doch ich konnte nicht. Keine Polizei. Selbst nach dieser ganzen Geschichte hatte ich immer noch die Chance, von Peter wegzukommen.
» Nein, ist in Ordnung « , sagte ich. » Ich habe mit meinem Freund Schluss gemacht. Wir waren ein Stück weiter da hinten schwimmen, und als ich zurückkam, war er, äh, weg. Ja, ich
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