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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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verkneifen kann.
    Franka soll jeden Tag anrufen. Franka soll niemals, wirklich niemals per Anhalter fahren, sie soll keinen Alkohol trinken und keine Drogen konsumieren. Sie soll jeden Tag anrufen und nur abgekochtes Wasser trinken. Sie soll ihre Schuhe vor dem Anziehen ausschütteln – wegen der giftigen Spinnen –, sich vor Schlangen, Krokodilen und Haien in Acht nehmen. Vor australischen Männern sowieso. Und sie soll jeden Tag anrufen. Jeden Tag!
    »Das ist lächerlich und vollkommen unrealistisch, und das weist du auch«, herrscht Frankas Vater seine Frau an, nachdem sie sich mindestens hundert Mal wiederholt hat und wegen ihres Asthmas kurz verschnaufen muss. »Wir können froh sein, wenn sie einmal im Monat anruft. Du kennst doch unsere Tochter.«
    Daraufhin fängt Franka an zu heulen und verspricht ihrer Mutter, was sie hören will. Zum Abschied flennen dann alle drei.
    Auf der Autobahn. Es nieselt nur leicht, aber das Spritzwasser der vorausfahrenden Fahrzeuge schränkt die Sicht ein und Marit muss sich aufs Fahren konzentrieren, für die Köhlbrandbrücke bleibt nur ein Seitenblick. Die Pfeiler verlieren sich im Nebel.
    Franka hat die Nase gestrichen voll von ihren Australienplänen und fordert Marit ein ums andere Mal auf umzudrehen. Sie sei schon jetzt krank vor Heimweh und halte das nie und nimmer ein ganzes Jahr aus. Außerdem habe sie Bauchweh. Marit nickt verständnisvoll und lässt sich nicht weiter darauf ein. Sie begreift, warum ihr das Los zufallen musste, die Freundin zum Flughafen zu bugsieren: ganz einfach, weil sie es kann. Frankas Eltern hätten sofort nachgegeben und sie wieder mit zurückgenommen. Anschließend wären sie sich zu Hause gegenseitig an die Gurgel gegangen.
    »Ansgar kommt vielleicht heute frei«, sagt Marit, als sie genug hat von Frankas Gejammer.
    Franka, bis eben noch wie eine Schwerkranke in sich zusammengesackt, richtet sich auf. »Echt? Heißt das, er ist aus dem Schneider?«
    »Nicht ganz. Aber das ist nur noch eine Frage der Zeit.«
    »Und das hat er dir und Helene zu verdanken?«
    »Schön wär’s.« Marit sieht den schwarzen Fiesta von Mimi Perlan vor sich, das Berliner Kennzeichen, das Wasser, das aus dem am Haken schwebenden Kleinwagen floss, und sie bereut, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben.
    »Ich habe nie geglaubt, dass er es war«, beteuert Franka und Marit nickt, obwohl sie beide wissen, wie es in Wirklichkeit gelaufen ist.
    Sie erreichen den Elbtunnel und wie von Geisterhand gebremst fließt der Verkehr langsamer. Marit vergisst, den Scheibenwischer abzuschalten, bis er auf dem abgetrockneten Glas zu quietschen beginnt. Inzwischen sind sie bei Tempo sechzig angelangt, vor ihnen ein Kombi aus Süddeutschland, dessen Fahrer anscheinend die Kacheln in der Tunnelwand zählt.
    »Freust du dich denn gar nicht?«, fragt Franka.
    »Natürlich freue ich mich. Nur habe ich auch noch ein paar andere Sorgen.«
    »Ich weiß, ich weiß, der Streit mit Jan.«
    »Es ist eigentlich kein Streit. Es läuft nur nicht so gut im Moment.«
    Franka legt die Stirn in Falten und wartet auf eine Erläuterung, doch Marit schweigt, bis der Elbtunnel sie auf der anderen Flussseite wieder ausspuckt. Hier regnet es stärker und die Wolken haben einen Stich ins Gelbe. »Eigentlich hab ich jetzt keine Lust, darüber zu reden.«
    »Aber ich muss dir unbedingt was sagen«, setzt Franka an. »Wegen Jan.«
    »Wieso? Was denn?«, fragt Marit alarmiert und kann nicht verhindern, dass vor ihrem inneren Auge ein Bild auftaucht wie ein Pop-up: ihre beste Freundin und Jan beim Knutschen, sturzbesoffen am elterlichen Pool. Der Klassiker. Sie versucht sich gegen den Schmerz zu wappnen.
    »Ich hab ihn mit Zoé gesehen.«
    »Was?«
    Ein Windstoß erfasst den Wagen und Marit muss gegenlenken. Plötzlich Sintflut. Sie nimmt den Fuß vom Gas, stellt die Scheibenwischer auf die höchste Stufe ein und beugt sich vor, um besser sehen zu können. Die roten Rücklichter sind Schemen hinter einem dichten Schleier aus Wasser.
    »Wann war das?«, ruft sie über das Lärmen des Wolkenbruchs hinweg. Harte Tropfen ballern wie Kiesel auf das Autodach. Von fern rollender Donner.
    »Vor ein paar Wochen. Sie waren zusammen in Cuxhaven im Beach-Klub.«
    »Was haben sie da gemacht?« Die Scheiben beschlagen. Marit schaltet die Lüftung ein, ist kurz abgelenkt, weshalb sie das Aufleuchten der Bremslichter vor ihnen verzögert wahrnimmt und heftig in die Eisen gehen muss. Der Mini schlingert, aber Marit bekommt
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