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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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sich längst daran gewöhnt, sonntags meistens ohne den Rest der Familie in die Kirche zu gehen.
    Marit muss an den verunglückten Kinoabend denken, Ellas unerwünschte Anwesenheit, ihre Aufmachung – vielleicht will Jans Mutter den Auszug ihres Sohnes zum Anlass nehmen, sich neu zu erfinden, und zwar ohne geistlichen Beistand.
    »Ella hat bloß Schiss, weil Jan aus dem Haus geht«, sagt sie. »Wahrscheinlich fühlt sie sich einsam und alt.«
    »Da wäre sie in der Kirche ja in bester Gesellschaft«, sagt Marits Mutter trocken. »Ich glaube, das ist nicht der Grund. Letzte Woche, als ich Ella beim Schlachter getroffen habe, gefiel sie mir gar nicht.«
    Schulterzucken. Marit dreht ihrer Mutter den Rücken zu. Sie hat weder Lust, sich weiter über Jans Mutter den Kopf zu zerbrechen, noch, über sie zu reden. Gähnend schüttet sie Kaffee aus der Thermoskanne der Maschine in ihren Lieblingsbecher, zur Abwechslung trinkt sie ihn schwarz, um richtig wach zu werden. Sie bekommt einfach nicht genügend Schlaf.
    Ihre Mutter versteht den Wink und lässt sie in Ruhe, schaltet das Radio ein, worüber Marit froh ist, denn das Schweigen zwischen ihnen ist immer noch aufgeladen. Das Gedudel eines Sommerhits macht die Küche zu einem x-beliebigen Ort und glättet so die Wogen. Leider geht es in den Regionalnachrichten um das Unglück am Sperrwerk. Spekulationen über die Beteiligung eines weiteren Fahrzeugs, man sucht nach Zeugen. Marit betrachtet, wie sich der Regen die neue Scheibe hinabschlängelt.
    »Was meinst du? Kommt Ansgar heute wirklich raus?«
    »Dein Vater ist mit dem Anwalt unterwegs. Die klären das gerade. Wenn die Staatsanwaltschaft sich querstellt, kann es noch etwas dauern. Aber wir machen Druck.«
    Wir, denkt Marit. Hört, hört. Das sind ja ganz neue Töne. Als sie das Gesicht verzieht, weil der letzte Schluck Kaffee so bitter schmeckt, fasst ihre Mutter es als Missbilligung auf und rechtfertigt sich: »Ich weiß, du traust uns im Moment nicht zu, Ansgar eine Hilfe sein zu können.«
    »Ich hatte bisher eher das Gefühl, ihr wollt ihm gar nicht helfen, ehrlich gesagt. Ihr wart ziemlich mit euch selbst beschäftigt. Und an seine Unschuld habt ihr auch nicht geglaubt.«
    »Das stimmt. Ich habe an Ansgar gezweifelt, dein Vater auch.«
    Marit bohrt nach: »Und jetzt nicht mehr?«
    »Jetzt wollen wir einfach nur, dass er nach Hause kommt. Alles andere wird sich finden. Wir haben einiges aufzuarbeiten. Wir vier.«
    Das klingt bedrohlich, aber immer noch besser, als wenn von Scheidung die Rede wäre. Oder von diesem unwürdigen Vaterschaftstest. Marit verspürt den Drang, ein Versprechen einzufordern, das ihre Mutter unmöglich geben kann: Es wird doch alles gut – oder? Albern.
    »Und wenn Ansgar nicht Papis Sohn ist?«, fragt sie stattdessen.
    »Er ist Winfrieds Sohn. So oder so.«
    Der Regen wirft Blasen im Wasser des Swimmingpools. Dazwischen treiben Gläser, Bierflaschen und die Überreste eines Liegestuhls aus Teakholz. Ein Stehtisch ist auf den Grund des Beckens gesunken. Auf den Steinplatten ringsum überall Glasscherben und noch mehr leere Flaschen: Bier, Wein, Wodka. Durchweichte Lampions aus orangefarbenem Papier baumeln schlaff an Bäumen und Büschen.
    »Krass, oder?« Franka hakt sich bei Marit ein.
    »Ziemlich«, gibt Marit zu, der nicht einleuchtet, warum die Freundin ihr diese Tristesse vor der Abfahrt unbedingt noch zeigen wollte.
    »Sieht das nicht nach einer legendären Abschiedsparty aus?«
    »Das sieht vor allem nach Arbeit aus«, sagt Marit, während sie sich fragt, was mit der Liege passiert sein mag. Als sie gegen drei Uhr gegangen ist, waren jedenfalls sämtliche Gartenmöbel noch ganz. »Aber die musst du dir ja nicht machen.«
    »Nee, zum Glück.«
    »Deine Eltern sind bestimmt stinkwütend.«
    »Ach Quatsch«, sagt Franka und schüttelt den Kopf über die Freundin. »Du denkst immer viel zu verkrampft, das musst du dir echt abgewöhnen. Meine Eltern freuen sich für mich.«
    Wahre Freude kennt Marit anders. Mit hängenden Mundwinkeln verstaut Frankas Vater den Rucksack seiner Tochter im Kofferraum des Minis, beaufsichtigt von seiner noch miesepetriger dreinblickenden Frau, die einen Befehl nach dem anderen erteilt, die Arme fröstelnd vor der Brust verschränkt.
    »Eigentlich wollte ich dir noch auf die Schnelle tausend Euro in die Hand drücken, aber davon muss ich mir ja jetzt neue Gartenmöbel kaufen«, raunt Frankas Vater seiner Tochter zu, worauf Marit sich nur schwer ein Grinsen
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