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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Tagesordnung übergehen, als wäre nichts passiert. Wir müssen irgendetwas unternehmen, ihn suchen, was weiß ich.«
    »Ansgar suchen? Wo denn?«
    »Keine Ahnung.«
    »Siehst du. Ich auch nicht. Außerdem wäre er bestimmt nicht begeistert, wenn wir ihn finden.«
    »Besser wir als die Polizei.«
    Jan stößt einen lang gezogenen Seufzer aus und schwingt sich von der Verladerampe. »Ich muss. Heute Abend spät bin ich in der Tankstelle, da kann ich mich umhören. Vielleicht ist er ja per Anhalter gefahren und jemand hat ihn gesehen.«
    Damit gibt sich Marit fürs Erste zufrieden, ergreift seine ausgestreckte Hand und hüpft von der Rampe. Ein schneller Kuss zum Abschied. Sie sieht ihm nach, als er quer über den leer gefegten Platz zurück zur Produktionshalle eilt. Bald, wenn die Schicht endet, wird hier ein Kühllaster nach dem anderen vorfahren, um Ware aufzunehmen.
    Nach einigen Metern dreht Jan sich um. »Ich liebe dich. Vergiss das nicht«, ruft er und winkt.
    Marit winkt zurück. »Ich liebe dich auch.«
    Es ist eine Beleidigung. Seit dem Kindergarten sind Marit und Franka beste Freundinnen, sie wohnen nur drei Straßen auseinander, sind es gewöhnt, ständig zusammenzuglucken. Und jetzt behandelt Franka Marit wie einen Eindringling, nachdem sie deren Elternhaus wie so oft durch die Hintertür betreten und die Freundin in ihrem Zimmer am Computer angetroffen hat. Ob sie nicht hätte anrufen können? Marit ist stinkwütend. »Wenn du mal auf dein Handydisplay geguckt hättest, wüsstest du, dass ich dich diverse Male angerufen habe.«
    »Echt?«
    »Ja, echt. Und das hast du garantiert gesehen, erzähl mir nichts. Du weichst mir aus. Schon seit Tagen.«
    »Quatsch. Vielleicht spinnt mein Handy.«
    »Wohl kaum. Komm, sei nicht so feige. Das passt überhaupt nicht zu dir.«
    Das versteckte Kompliment entgeht Franka nicht und bringt sie immerhin so weit, ihren Chat zu beenden und den Computer herunterzufahren. Anschließend Stille bis auf das leise Knistern des Bildschirms.
    »Puh, ist schon wieder ganz schön heiß, oder?«, fragt Franka, als das Schweigen überhandnimmt. Sie pustet sich den Pony aus der Stirn. »Nach dem Gewitter vorhin dachte ich, jetzt kriegen wir wieder das übliche Schmuddelwetter. Sollen wir schwimmen gehen?«
    »Später vielleicht. Jetzt will ich reden«, erwidert Marit, genervt, aber nicht überrascht von Frankas Ablenkungsversuch. Seufzend lässt sich die Freundin darauf ein, besteht allerdings darauf, die Unterhaltung nach draußen an den Pool zu verlegen, was Marit für eine gute Idee hält. Viele ihrer besten Gespräche hatten sie dort. Meistens über Jungs, Frankas Jungs.
    Im Wasser treiben Blätter, die der Sturm von den Bäumen gerissen hat. Wieder klebrige Schwüle. Über ihren Köpfen Vogelzwitschern im dichten Grün. Marit muss an längst vergangene Nachmittage denken, als der Pool voller Spielzeug war, Luftmatratzen, aufblasbare Delfine, Krokodile, Bälle. Das reinste Kinderparadies. Franka besaß die meisten Spielsachen von ihnen allen, bekam, was sie sich wünschte, postwendend geschenkt. Während sie sich auf den Liegestühlen ausstrecken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, werden die Erinnerungen so plastisch, dass Marit schwören könnte, ihre Kinderstimmen würden noch über dem Garten schweben. Wenn ihr jetzt eine Zauberformel einfiele, um diese entschwundene Zeit zurückzurufen, sie würde nicht lange zögern. Damals war alles so einfach.
    »Du hast recht«, eröffnet Franka unvermittelt.
    »Womit?«, fragt Marit, obwohl sie genau weiß, worauf Franka hinauswill. Es ist lächerlich: Sie ist hier, um die Freundin zur Rede zu stellen, aber nun, da der Zeitpunkt gekommen ist, will sie am liebsten kneifen.
    »Ich konnte einfach nicht mir dir reden.«
    Marit nickt langsam, den Blick starr auf das Wasser des Swimmingpools gerichtet.
    »Willst du wissen, warum?«, fragt Franka und wartet die Antwort nicht ab. »Weil es so schlimm ist, was Ansgar getan hat. Und weil er dein Bruder ist. Es tut mir leid. Ich bin ein feiges Luder.«
    Marit hat kein Ohr für die selbstgefällig vorgetragene Entschuldigung, sie ist voll und ganz damit beschäftigt, die Ungeheuerlichkeit von Frankas Worten zu verdauen. Ihre Wangen glühen, als hätte sie Fieber. »Ansgar hat nichts getan.«
    »Ach komm.«
    »Nichts ach komm. Er war es nicht.«
    »Mit der Meinung stehst du aber ganz allein da«, entfährt es Franka. »Er. War. Es. Punkt. Alle wissen das.«
    Marit springt auf. Am liebsten würde sie

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