Luegensommer
Kommode. Hauptsächlich Unterwäsche oder besser: Dessous, denn die meisten Stücke sind ziemlich sexy, manche dieser pulverweichen Stofffetzen werfen anzügliche Fragen auf. Nicht dass Marit imstande wäre, sie jemandem zu stellen. Diverse Packungen Kondome. Na gut, das ist nun wirklich nichts Auffälliges, die wären auch bei Marit zu finden. Wenn auch nicht so viele.
Das Zimmer ist wegen der Dachschrägen nicht geeignet für einen Kleiderschrank, der muss also anderswo untergebracht sein, wie Marit enttäuscht feststellt. Insgesamt wenig Stauraum, für Verstecke ist erst recht kein Platz. Marit schaut unter dem Bett nach – nichts außer Staub und davon reichlich. Sie prüft die Holzdielen – alle bombenfest. In Filmen gibt es immer Verstecke unter lockeren Dielen. Es wäre leichter, wenn sie wüsste, wonach sie eigentlich sucht.
»Ich weiß ja nicht, was du vorhast, aber du kannst dir sicher denken, dass die Polizei hier bereits alles auf den Kopf gestellt hat.«
Marit zuckt zusammen. Jespersen lehnt im Türrahmen und mustert sie, die Stirn in Falten gelegt, in der Hand immer noch das Weinglas, das mittlerweile leer ist.
»Haben die auch ihren Computer mitgenommen?«, fragt Marit und versucht dabei, nicht schuldbewusst zu klingen, weil sie beim Schnüffeln entdeckt wurde.
»Natürlich. Erst wenn der Fall endgültig aufgeklärt ist, bekommen wir alles zurück.«
»Das ist ja das Problem. Die Polizei gibt sich doch überhaupt keine Mühe mit dem Fall. Die interessieren sich nur für meinen Bruder.«
»Und jetzt willst du ihnen auf die Sprünge helfen?«
»So ungefähr.«
Jespersen betrachtet sie eingehend, bevor er den Kopf in den Nacken legt und in Gelächter ausbricht. Ein richtiger Anfall, er muss sich den Bauch halten, und es klingt wie eine Mischung aus Lachen, Heulen und Würgen. Danach setzt er das leere Glas an, um zu trinken, bemerkt seinen Fehler und lacht weiter. »Wenn du dich da mal nicht überschätzt, Mädchen.«
Hin- und hergerissen zwischen Ärger und Entmutigung, ruft Marit ihm seine eigenen Zweifel an Ansgars Schuld ins Gedächtnis: Jespersen hat von Anfang an deutlich gemacht, dass die allgemeine Vorverurteilung ihm eher suspekt ist. Allein das macht ihn zu einem potenziellen Verbündeten, davon ist Marit mehr und mehr überzeugt. Nicht gerade ein Superheld, aber besser als keiner. Sie fängt an, ihm Fragen über Zoé zu stellen – und muss entsetzt feststellen, wie wenig er insgesamt über seine Tochter weiß: Nicht einmal die Namen ihrer Freunde in Hamburg, lediglich Grischa fällt ihm ein, der finstere Typ von der Beerdigung, außerdem erwähnt er eine beste Freundin namens Bea, die zurzeit an einem Schüleraustauschprogramm teilnimmt und in den USA lebt. Ziemlich mau. Ihre Hobbys? Computerkram und Fotografieren. Weitere Interessen? Schulterzucken. Zukunftspläne? Schulterzucken. Kunst auf alle Fälle. Und den Job im Altenheim habe Zoé gemocht. Keine einzige Schicht habe sie versäumt, und das Zoé, ansonsten eher für ihre Unzuverlässigkeit berüchtigt, bereit, jeden Ferienjob hinzuschmeißen, sobald ihr irgendetwas nicht passte.
»Wann genau haben Sie Zoé eigentlich zuletzt gesehen?«
Jespersen druckst herum.
»Wann, Herr Jespersen?«
Seufzen. »Ich weiß es eben nicht. Als Zoé verschwand, waren wir in Berlin auf einer Vernissage und haben dort auch übernachtet. Bei unserer Rückkehr war ein Anruf von Zoés Chefin auf dem Anrufbeantworter, weil sie auf der Arbeit gefehlt hatte, was uns natürlich stutzig machte. Über Handy konnten wir sie nicht erreichen und ihr Bett war unbenutzt. Also haben wir angefangen herumzutelefonieren.« Er führt das leere Weinglas ans Ohr wie ein Telefon, stockt mitten in der Bewegung, vom bitteren Nachgeschmack dieses Tages sichtlich mitgenommen.
»Aber Sie müssen doch wissen, wann Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen haben«, insistiert Marit.
»Irgendwann am Tag vor unserem Berlintrip. Sie kam in die Küche, um sich ein Brot zu schmieren, und wir redeten über die Hitze. Sie mochte das Wetter.«
»Und bei Ihrer Abreise haben sie sich nicht verabschiedet? Sie fuhren einfach weg?« Marit schüttelt den Kopf. Diese Gleichgültigkeit. Undenkbar, dass ihre Eltern sich so verhalten hätten. Wenn die beiden allein auf Reisen gehen, was selten genug vorkommt, macht ihre Mutter jedes Mal eine große Sache daraus: Zuerst werden Kühlschrank und Vorratskammer aufgefüllt, als könnte das Haus während ihrer Abwesenheit wochenlang von der
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