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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Außenwelt abgeschnitten werden, dann Aufbruch mit Umarmungen und Winken und selbstverständlich regelmäßige Anrufe von unterwegs, vor allem zur Nacht: »Schlaf schön, Schätzchen, ich hab dich lieb.« Und morgens: »Ich wünsche dir einen schönen Tag.« Pro forma reagiert Marit jedes Mal genervt, das gehört irgendwie dazu. Dennoch käme alles andere ihr insgeheim lieblos vor.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagt Jespersen und lässt sich auf Zoés Bett plumpsen. Der Holzrahmen knarrt unter seinem Gewicht. »Bei euch daheim geht es anders zu. Na und? Unsere Familie ist eben nicht so stinknormal und bieder, wir ziehen alle unser eigenes Ding durch, jeder für sich. Wir sind Künstler; um kreativ sein zu können, braucht man seine Ruhe. Das verstehst du nicht. Zoé war froh, wenn sie das Haus ab und zu für sich hatte.«
    War sie das? Marit denkt an die vielen Packungen Kondome. Auf ihre Frage, ob Zoé außer Ansgar noch andere Jungen mit auf ihr Zimmer genommen habe, weiß Jespersen erwartungsgemäß keine Antwort – oder er will sich nicht dazu äußern.
    Die seltsame Befragung gerät ins Stocken. Zoés Vater wirkt erschöpft, Marit ist es ebenfalls, und das ist ja auch kein Wunder. In der Mansarde steht die Luft wie in einem Zweimannzelt. Die niedrige Decke, die Dachschräge mit den düsteren Postern, das grässliche Blutbild – erdrückend, dazu die schreiend stumme Anwesenheit eines toten, zornigen Mädchens. Marit will weg.
    Doch das Gefühl, nicht vorangekommen zu sein, lässt sie ausharren und sich das Hirn nach konstruktiveren Fragen zermartern, während Jespersen mit rundem Rücken und hängendem Kopf auf dem Bett seiner Tochter sitzt. Mit dem St.-Pauli-T-Shirt wischt er sich den Schweiß aus dem Gesicht, was seinen behaarten Bauch zum Vorschein bringt. Um nicht hinsehen zu müssen, inspiziert Marit nochmals das Bücherregal. Dass die Bibel gleich zweimal vertreten ist, kommt ihr ungewöhnlich vor. Sie selbst hat kein einziges Exemplar im Zimmer stehen und sie ist ein braves Mädchen.
    »Okay, vielleicht hat sie sich manchmal allein gefühlt«, bricht es plötzlich aus Jespersen heraus und er fährt mit der flachen Hand über das graublaue Bettzeug, als würde er einen Hund streicheln. »Auch wenn Rena das nicht wahrhaben will. Ich bin allein, Rena ist allein, wir alle sind allein.«
    Allein, allein. Es gibt ein Lied, das so heißt, da kann man ziemlich gut drauf tanzen. Marit schämt sich ein bisschen, weil ihr das ausgerechnet jetzt einfällt, ein billiger, kleiner Trick ihres Unterbewusstseins, um ihre Gefühle abzuschotten, denn sie ahnt schon, was gleich kommt. Und richtig: Jespersen ist fällig. Seinen nächsten Heulkrampf verlebt er auf Zoés Bett, den Kopf tief in ihrem Kissen vergraben.
    Zeit aufzubrechen. Marit stiehlt sich aus der Mansarde, den Arm voller Bücher, Bibeln inklusive. Eine nützliche Entscheidung, wie sich bald darauf zeigen soll.
    Als Marit in ihrem Mini über die sandige Zufahrt zurück zur Landstraße zuckelt, kommt ihr der Kombi von Zoés Eltern entgegen, hinter dem Steuer Rena Berger, die sie durch die Windschutzscheibe hindurch anglotzt. Ein eisiger Blick. Der Feldweg mit der Grasnarbe in der Mitte ist zu eng für zwei Autos nebeneinander, eine von ihnen wird zurücksetzen müssen. Und Rena Berger sendet unmissverständliche Signale aus: Das hier ist ihr Revier. Also legt Marit den Rückwärtsgang ein und rollt, dicht bedrängt vom Kombi, zurück auf den Hof, wo Rena Berger sie absichtlich zuparkt. Reglos schaut sie zu, wie Zoés Mutter aus dem Wagen springt und zum Mini hastet, jede Bewegung gleichermaßen zum Fürchten und zum Lachen in ihrer Theatralik.
    »Was hast du hier zu suchen?« Rena Berger reißt die Tür an der Fahrerseite auf, worauf Marit auf die Bücher deutet und sich bemüht, kühl und sachlich zu wirken: »Die da gehören mir. Ich hatte sie Zoé ausgeliehen.«
    Bange Sekunden. Im Auto sind bestimmt über fünfzig Grad, der Motor läuft zwar, hat aber zu lange in der Sonne gestanden, um die Klimaanlage auf Touren zu bringen, und Marit merkt, wie ihre Schminke zerläuft. Sie würde gern ihre Sonnenbrille aufsetzen, die im Handschuhfach verstaut ist, wagt aber nicht sich zu rühren. Immerhin: Die profane Erklärung scheint Zoés Mutter halbwegs zu besänftigen.
    »Und die Bücher brauchst du jetzt?«
    »Ja. Tut mir leid.«
    »Das tut dir leid? Weißt du, was dir leidtun sollte?«
    »Nein.«
    »Nein?«
    Schweigen. Egal, was Marit sagt, sie kann nur

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