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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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verlieren.
    »Dass dein krimineller Bruder zu feige ist, sich der Polizei zu stellen. Das sollte dir leidtun.«
    Marit schließt die Hände ums Lenkrad. »Kann ich jetzt fahren?«
    »Dazu hast du nichts zu sagen?«
    Arrogante Kuh, denkt Marit. Was sollte sie darauf schon erwidern? Schließlich ist es nicht ihre Schuld, dass Ansgar sich verdrückt hat. Nichts von alldem hier ist ihre Schuld. Jedenfalls nicht direkt. Sie hätte eine bessere Schwester für Ansgar sein können, das ist ihr inzwischen klar. Doch hätte das etwas geändert?
    »Ich muss nach Hause.«
    »Ich sehe schon, ihr haltet alle zusammen, nicht wahr?«
    Schön wär’s, denkt Marit, aber sie nickt und kann sich diesmal eine Antwort nicht verkneifen: »Auch wenn Sie sich das natürlich nicht vorstellen können, so verkorkst wie Ihre Familie ist.«
    Die Provokation schmeckt überraschend süß, am liebsten würde Marit noch mehr sagen, Rena Berger Versagen als Mutter vorwerfen. Doch sie behält sich unter Kontrolle, was nicht leicht ist, aber eine Eskalation verhindert. Zoés Mutter knallt die Tür zu, steigt wieder in den Kombi und setzt den Wagen so zurück, dass Marit endlich Gas geben kann.
    Die Runde geht also an sie.
    Zu Hause. Marits Mutter steht neben dem Herd und zerstampft Kartoffeln für das Abendessen, ihr Vater entkorkt eine Flasche Grauburgunder. Es riecht nach Dill, ein Gewächs, das Marit ebenso wenig ausstehen kann wie ihr Bruder, dennoch ist sie im ersten Moment so froh über das vertraute Bild, dass es sie nicht stört. Wenigstens streiten sie nicht. Ein Hauch Normalität. Das schlechte Gewissen meldet sich sofort: Darf sie das – sich normal fühlen? Dürfen Eltern das, während ihr Sohn sich irgendwo allein durchschlägt, siebzehn Jahre alt, zur Fahndung ausgerufen, mit dem Makel eines Tatverdächtigen behaftet?
    Nein, natürlich nicht!
    In Gedanken immer wieder derselbe Vorwurf, der Marit besonders deswegen quält, weil sie nicht wagt, ihn auszusprechen: Warum unternimmt ihr Vater nichts? Geht zur Arbeit, kommt heim, öffnet Weinflaschen, als wäre nichts gewesen. Sie kennt den Grund längst. Aber noch ist sie nicht bereit, ihn als solchen zu akzeptieren. Nur dieses dämliche Schimpfwort will ihr nicht aus dem Sinn: Kuckuckskind.
    Als ihre Mutter wissen will, wie ihr Tag war, empfindet Marit kurz das Bedürfnis, sich mitzuteilen, doch dann sagt sie bloß: »Okay.« Alles andere wäre zu kompliziert und hätte unkalkulierbare Folgen. Unmöglich, ihren Eltern zu sagen, dass sie allen Ernstes Zoés Mörder suchen will. Die würden sie glatt für verrückt erklären.
    Beim Essen – gebratenes Fischfilet, Kartoffelbrei, Gurkensalat mit Dill – klingelt das Telefon und Marits Vater nimmt das Gespräch entgegen, brummelt Undefinierbares in den Hörer, nickt einige Male, bevor er sich bedankt und auflegt.
    »Wer war das?«, fragen Marit und ihre Mutter unisono.
    »Polizei. Ansgar wurde vor zwei Stunden an der holländischen Grenze verhaftet. Sie bringen ihn hierher zurück, er kommt in U-Haft.«
    Ohne in die erschrockenen Gesichter seiner Frau und seiner Tochter zu blicken, wischt er sich den Mund ab, wirft die Stoffserviette anschließend auf den Teller, wo der zerpflückte Fisch immer noch dampft, und steht auf. »Sogar zum Untertauchen ist dieser Bursche zu dämlich«, sagt er im Weggehen.

Scherben
    Ich kann dir nicht mehr schreiben. Das heißt, schreiben schon, aber das mit dem Abschicken geht nicht mehr, und ein Brief, der nirgendwohin geschickt wird, ergibt doch keinen Sinn – oder? Scheiße, merkst du, wie ich langsam verrückt werde? Als ob überhaupt noch irgendetwas Sinn ergeben würde, was ich tue. Ich glaube, alle drehen allmählich durch deinetwegen, was dir vermutlich gefällt. So kannst du dich an jedem rächen, der blind und taub war für deinen Scharfblick. Du wolltest Idylle als muffige Lüge enttarnen – das passiert jetzt von ganz allein. Glückwunsch, Zoé, bald liegt alles in Scherben. Ich finde ja falsche Idylle immer noch besser als echte Tristesse.
    I m Regionalzug von Hamm in Westfalen ins niederländische Venlo ist es passiert: Mitglieder der Zollfahndung bereiteten Ansgars Flucht ein Ende, ohne auf Widerstand zu stoßen. Sie haben ihm Handschellen angelegt, ihn in einen Polizeiwagen verfrachtet und aufs Revier gebracht, wo sie seine Fingerabdrücke abgenommen, ihn fotografiert und stundenlang verhört haben. Noch am Abend hat ein Richter Haftbefehl erlassen. So viel ist sicher. Marit musste das Internet

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