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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Marit Notiz zu nehmen. Erst nach dem dritten Haar gibt er sich zufrieden.
    »Kannst du mir mal erklären, was du da machst?«, fragt Marit, obwohl der Groschen bei ihr bereits gefallen ist.
    »Das muss sein. Es hat nichts mit dir zu tun.«
    Sie folgt ihm in sein Arbeitszimmer, wo er das Röhrchen mit Ansgars Haaren in einen bereits beschrifteten Luftpolsterumschlag steckt. Marit erhascht einen Blick auf den Empfänger: eine Adresse in Großbritannien, ein Firmenname, glaubt sie.
    Anschließend geht er in Ansgars Zimmer – Marit hinterher, still und beharrlich wie ein Schatten – und beugt sich unter den Schreibtisch, einen Gefrierbeutel über die rechte Hand gestülpt.
    »Wusste ich’s doch«, murmelt er.
    Als er wieder unter dem Tisch hervorkommt, enthält auch der Klarsichtbeutel etwas, das Ansgars genetischen Fingerabdruck preisgeben könnte: ein zerkautes Kaugummi.
    »Das ist gut, sehr gut. Mit Haaren ist es äußerst schwierig. Man braucht auf jeden Fall die Wurzel und selbst dann klappt es nicht immer, nur zu fünfzig Prozent«, erläutert Marits Vater, als wäre es die normalste Sache der Welt, auf der Suche nach Zellmaterial des eigenen Kindes unter Tischen herumzukriechen. Falls er Gewissensbisse hat, kann er das gut verbergen, vielleicht sogar vor sich selbst.
    Zurück im Arbeitszimmer landet der Beutel beim Röhrchen im Umschlag, und Winfried Pauli überlässt es seiner Tochter, die hässliche Realität auszusprechen: »Du willst also einen Vaterschaftstest machen lassen.«
    Er betrachtet sie, holt tief Luft und schweigt, erst als sie vorwurfsvoll »Papa« sagt, nickt er.
    »Es stimmt also, was die Leute reden.«
    »Frag deine Mutter.«
    Das wird sie auch, darauf kann er sich verlassen. Doch zuerst ist er dran.
    »Wozu dieser Test? Muss das sein? Ausgerechnet jetzt, wo er im Gefängnis sitzt! Warum? Weil du Ansgar insgeheim für schuldig hältst und unter diesen Umständen lieber nicht mit ihm verwandt sein möchtest?«
    Schweigen. Der Vorwurf baut sich knisternd zwischen ihnen auf, und Marits Vater zieht ein Gesicht, als wolle er den einfachsten Ausweg wählen und ihr Ärger machen, weil sie auf diese Weise mit ihm spricht. Doch er lässt sie gewähren, hört weiter zu, während sie sich in Rage redet.
    »Und ich wette, Mama hat keine Ahnung, was du tust. Und Ansgar erst recht nicht. Findest du das fair?«
    »Es gibt ein Formular, in dem man versichern muss, dass alle Beteiligten einverstanden sind«, sagt er und zwinkert ihr mit einem Grinsen zu, ein billiger Versuch, sie zu Komplizen zu machen und das Ganze zugleich ins Lächerliche zu ziehen.
    Marit braucht keine Worte, um ihn abblitzen zu lassen, ihr Blick genügt.
    Seine Stimme wird kälter: »Ich hab keine andere Wahl«, sagt er, als wäre die Logik seines Handelns offenkundig und sie bloß uneinsichtig. »Ich muss wissen, woran ich bin. Mein Ruf steht auf dem Spiel. Meine Existenz.«
    Das meint er ernst. Ansgar hockt in einer Gefängniszelle, und ihr Vater sorgt sich zuallererst um seinen Ruf. Marit mustert ihn, das taubengraue Seidenhemd, seine blauen Augen, die Koteletten, in die sich erstes Grau mischt, die Stirnfalten. Wie seriös er wirkt, das Aussehen Teil einer Gesamtstrategie, genau wie die private Reputation. Der Gesichtsausdruck verbindlich, ein Mann, der zu seinen Worten steht. Damit verdient er seinen Lebensunterhalt. Und ihren.
    Marit überlegt, ob seine Gefühle nach den Belastungen und Streitereien der letzten Tage völlig abgestumpft sind oder ob er ihrem Bruder gegenüber immer schon so knallhart war. Sie kommt zu keinem Ergebnis.
    Unterdessen hat ihr Vater von irgendwoher ein weiteres Röhrchen hervorgezaubert, das einen kleinen Spatel enthält. Marit weiß, was jetzt kommt, sie hat es im Fernsehen gesehen. Während er die Probe aus seiner Mundschleimhaut entnimmt, dreht er ihr den Rücken zu. Danach hat er scheinbar alles Nötige beisammen, macht den Umschlag reisefertig – reichlich Tesafilm zur Sicherheit –, bevor er ihn in seiner Aktentasche verschwinden lässt. Gleich wird er zur Arbeit aufbrechen.
    »Bitte tu das nicht.«
    Er ist auf dem Weg zur Tür, und Marit fällt nichts Besseres ein, als sich ihm in den Weg zu stellen, ein für sie so ungewöhnlicher Akt des Ungehorsams, dass sie sofort weiche Knie bekommt.
    »Ich muss los«, knurrt er. »Komm, mach Platz.«
    Sie schüttelt den Kopf. Als er ihr ausweichen will, macht sie die Bewegung mit, trippelt rückwärts zur Tür, wo sie stehen bleibt und sich auf beiden

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