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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Verbindung wissen. »Nur weil es rot ist?«
    »Nein. Weil es Zoé heißt.«
    »Nee!«
    Marit kann beinahe hören, wie die Freundin die Hand vor den Mund schlägt, ebenso konsterniert wie sie selbst, eine gute Viertelstunde zuvor, als sie das Hausboot im Vorbeifahren entdeckte. Was ihr zusätzlich zu denken gibt: Der Schriftzug auf der Bordwand scheint ziemlich frisch zu sein. Jemand hat erst den alten Namen mit schwarzer Farbe übergepinselt, und zwar reichlich schlampig, dann mit Weiß »Zoé« daraufgeschrieben. Die Farbe vom »Z« ist verlaufen, als würde es ausbluten. Zufall oder Absicht? Links und rechts von den drei neuen Buchstaben schimmern die alten durch, ein »M«, ein »i«, ein »A«. Sie beschreibt Helene diese Details, worauf für die Freundin alles klar ist: »Wir haben den Mörder. Du hast ihn. Wahnsinn, das hätte ich dir echt nicht zugetraut.«
    Marit wünscht sich nichts sehnlicher als das, bleibt jedoch skeptisch. »Zoé und Grischa waren befreundet. Er kann das Boot genauso gut nach ihr benannt haben, weil er sie vermisst. Um ihr Andenken zu pflegen.«
    »Mit so einem schrottreifen Kahn?«
    »Wenn er nun mal keine Luxusjacht zur Verfügung hat. Außerdem fand Zoé das Boot cool. Behauptet jedenfalls ihre Mutter.«
    »Aber verdächtig ist es schon.«
    »Auf jeden Fall. Aber was wir brauchen, sind richtige Beweise.«
    Sie diskutieren über das weitere Vorgehen. Helene will am liebsten vorbeikommen, Marit besteht auf einem Alleingang. Sie hat vor, das Hausboot so lange zu beobachten, bis sie sicher sein kann, dass niemand an Bord ist, und sich dann auf die Suche nach Beweisen machen, die Grischa als Mörder überführen können. Letztlich dasselbe, was die Polizei auch getan hat, nur eben an der falschen Adresse.
    »Hast du eine Kamera dabei?«
    »Nur mein iPhone.«
    Helene seufzt. »Dann muss das eben reichen.«
    Als sie das Gespräch beenden und die Freundin sie mehrfach mit Nachdruck bittet, gut auf sich aufzupassen, wird Marit von einem Wagemut erfasst, den sie bei sich nicht vermutet hätte. Sie weiß, was sie tut, davon ist sie felsenfest überzeugt.
    Die Warterei nervt. Sie hat ihr Brötchen längst gegessen, jetzt bleiben nur noch die ekligen Zimtkaugummis, die Franka im letzten Winter in Marits Handschuhfach vergessen hat. Ein Geschmack nach falschen Weihnachten.
    Eigentlich ist es viel zu heiß, um im Auto sitzen zu bleiben, doch Marit hat Angst aufzufallen, wenn sie sich ins Freie begibt. Unwahrscheinlich, dass Grischa sie auf der Beerdigung wahrgenommen hat, unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Sie hat den Mini ein Stück abseits unter einem Baum geparkt, zwar nicht wirklich versteckt, doch besser als vis-à-vis zum Anleger.
    Langweilig. Auf keinem der Hausboote ist irgendwer zu sehen, möglicherweise sind alle Bewohner ausgeflogen, aber sie kann ja nicht einfach auf gut Glück an Bord gehen. Viel zu hohes Risiko.
    Nach einer halben Stunde, die ihr wie zwei vorkommt, fängt Marit an, mit ihrem Handy rumzudaddeln, der Empfang ist nicht schlecht, also surft sie eine Weile ziellos durchs Netz, um schließlich wieder auf der Seite der Künstler-Community zu landen. Sie sollte vielleicht diesem Blödmann antworten, Weeeerner 4 ever, vielleicht könnte der noch nützlich für sie sein. Immerhin eine Netzbekanntschaft von ihrem Hauptverdächtigen. Mal sehen, was der künstlerisch auf dem Kasten hat: ach ja, diese Bleistiftzeichnungen. Mithilfe einer ziemlich aufwendigen Strichtechnik entstehen düstere, comicartige Szenen von abgerissenen, jungen Typen, die den Eindruck erwecken, als wären sie im Begriff, eine Schlägerei anzufangen. Abgebildet auf dem Handydisplay, üben die Zeichnungen eine gewisse Faszination auf Marit aus. Während sie beim ersten Besuch des Profils nur einen flüchtigen Blick auf die Arbeiten geworfen hat, sieht sie jetzt ganz genau hin. Ein Motiv unterscheidet sich von allen anderen – und ist ihr dennoch sofort vertraut: ein totes Mädchen auf einem zugefrorenen See.
    »Oh, Scheiße«, flüstert sie und muss widerwillig ihre Schlüsse aus dieser Entdeckung ziehen. Weeeerner 4 ever war eventuell dabei, als Zoé als Mordopfer Modell stand – oder besser: lag. Er und wer noch? Was, wenn ein ganzer Freundeskreis angehender Künstler sich an jenem Wintertag auf dem Eis versammelt hatte, um das grausige Szenario zu fotografieren, zu filmen, zu malen oder was auch immer? Das würde den Kreis der potenziellen Täter erweitern. Weitaus mehr, als Marit lieb sein

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