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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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momentan auch keine Gelegenheit, dies herauszufinden.
    Weiter jetzt. Außer dem Ordner mit den Opferfotos existieren in der Rubrik »Fotoprojekte« zwei weitere namens »Schaf« und »Stein«. Letzterer enthält nur drei Fotos, das Motiv bleibt gleich: ein grauer Granitstein, vor einem weißen Hintergrund ganz aus der Nähe aufgenommen, jedes Detail der Oberfläche ist gut erkennbar. Er ähnelt den Steinen, die durch ihr Wohnzimmerfenster geworfen wurden, nicht nur in Form und Größe. Auch wegen des Bluts. Und Marit ist festen Willens zu glauben, dass es sich in diesem Fall um echtes Blut und nicht um Ketchup handelt. Zumal auch noch schwarzbraune Haare daran kleben. Logisch überlegt, kann das nur eines bedeuten: Grischa hat die Mordwaffe fotografiert. Sie befindet sich in seinem Besitz. Weil er der Täter ist.
    Es ist nahezu lächerlich, wie einfach es ist, den Stein zu finden. Grischa muss sich sehr sicher fühlen. Sonst würde er ein derartiges Beweisstück kaum in einer Plastiktüte von Aldi unter seiner Futonmatratze aufbewahren. In Kopfhöhe. Der Geruch nach Blut, der Marit aus der Tüte entgegenschlägt, ist so intensiv und so eindeutig, dass ihr nun doch noch das Käsebrötchen und das Zimtkaugummi hochkommen. Irgendwie gelingt es ihr, sich nicht zu übergeben.
    Was jetzt? Lässt sie den Stein, wo er ist, und informiert lediglich die Polizei, hätte Grischa eventuell die Gelegenheit, ihn verschwinden zu lassen. Zumal die Bullen höchstwahrscheinlich nicht sofort reagieren werden, möglicherweise gar nicht. Oder was wäre, wenn die Nachbarin sie erwähnt? Oder Grischa schlicht und einfach bemerkt, dass eine fremde Person den Raum betreten hat?
    Marit fasst einen kühnen Entschluss: Sie wird beides mitnehmen: Rechner und Stein. Sämtliche Daten auf dem Computer und sicher auch die Spuren auf dem Stein müssten zusammen doch ausreichen, Grischa zu überführen. Da dürfte es nur eine untergeordnete Rolle spielen, wie die Ermittler an diese Beweisstücke gekommen sind.
    Ohne jeden Skrupel stopft sie die Plastiktüte und das MacBook in eine Umhängetasche aus Lkw-Plane, die neben dem Schreibtisch auf dem Boden liegt. Eine ziemlich auffällige Tasche, eindeutig Marke Eigenproduktion, bedruckt mit einem Foto des Künstlers aus der Schaf-Serie.
    Nichts wie weg.
    Marits Hoffnung, die waghalsige Aktion ohne Komplikationen über die Bühne zu bringen, erfüllt sich nicht. Auf dem Weg zurück zum Auto kommt ihr Grischa auf seinem Rennrad entgegen. Sie zwingt sich, zügig, aber normal zu gehen, bloß nicht rennen, um damit erst recht seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr Herz klopft so laut, dass er es eigentlich hören müsste.
    Er ist fast vorbei. »Hey, ist das meine Tasche?«
    »Nee, wieso?«
    Verdammt. Grischa kommt neben ihr zum Stehen, ihre Blicke begegnen sich. Er sieht sie an, wie man einen wildfremden Menschen eben ansieht, der im Begriff ist, einen zu beklauen: ungläubig, verwirrt. Für Wut braucht er noch einige Sekunden – und so lange kann Marit nicht warten. Ihr Instinkt rät zum Überraschungsangriff, also zählt sie im Kopf bis drei, dann tritt sie mit voller Wucht gegen den Vorderreifen.
    Das Resultat übertrifft ihre Erwartungen. Grischa und Rennrad gehen zu Boden, wobei Grischa einen kurzen Schrei ausstößt. Es scheppert gewaltig.
    »Spinnst du?«
    Marit entdeckt die Acht im Reifen und rennt los. Echt empfindlich diese Rennräder. Wenigstens muss er sie nun zu Fuß verfolgen.
    »Bleib stehen«, brüllt Grischa hinter ihr.
    Sie hört ihn husten und beobachtet über die Schulter hinweg, wie er sich aufrappelt und in ihre Richtung losrennt. Er ist schnell. Aber Marit ist schneller, eine exzellente Sprinterin, und im Gegensatz zu Grischa hat sie die eigene Lungenleistung noch nicht mit Nikotin dezimiert.
    Sie kann es schaffen. Nur nicht bis ins Auto. Denn dummerweise ist der Abstand zwischen ihnen nicht groß genug. Tür öffnen, einsteigen, Motor starten – dabei würde sie zu viel Zeit verlieren, bis dahin hätte Grischa sie längst.
    Marit wundert sich, wie klar sie denken kann, wie es ihr gelingt, all das im Kopf durchzuspielen, während ihr Körper über den glutheißen Asphalt hinwegfliegt, die pure Leichtigkeit, Beine, Arme, Atmung perfekt im Takt. Der Biologieunterricht kommt ihr in den Sinn, die körpereigene Wunderdroge Adrenalin.
    »Bleib stehen«, brüllt Grischa.
    Die Stimme klingt näher als zuvor. Aber er muss nochmals husten, mit dem Geschrei tut er sich selbst keinen Gefallen, Marit

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