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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Hochglanztafel, auf der die einzelnen Eissorten nebst Preisen abgebildet sind. Ziemlich gepfeffert.
    »Die haben der Chefin ein Angebot gemacht, das sie nicht ausschlagen konnte.«
    »Wie – ein Angebot?«
    »Ein Angebot eben. Letzte Woche war ein Vertreter von der Firma hier. Die haben die Truhe gleich dagelassen. Und den Krempel da draußen gab’s sogar dazu.«
    Marit blickt durch das Schaufenster ins Freie auf die neuen Errungenschaften der Dorfbäckerei: zwei blaue Plastikstühle an einem runden Plastiktisch in derselben Farbe unter einem Sonnenschirm mit dem giftgrünen Schriftzug der Konkurrenz. Frechheit. Was für heimtückische Geschäftspraktiken – das ist Ausnutzen einer Notlage. Als ob die so etwas nötig hätten, diese Aasgeier, die machen doch Umsatz genug.
    Sie würde Beeke gern einen Vortrag darüber halten, was aus dem Dorf und den benachbarten Gemeinden werden würde, müsste die Eisfabrik schließen, wie bereits ein paar Jahre zuvor die Molkerei, dann zwei Hotels, der Landmaschinengroßhandel und etliche Kleinbetriebe. Auch viele Milchbauern sahen sich gezwungen, ihre unrentablen Höfe aufzugeben und sich nach neuen Jobs umschauen, ein schwieriges Unterfangen, denn allzu viel Gewerbe hat die Region nicht zu bieten. Marits Vater hat die meisten von ihnen eingestellt. Die sollten ihm heute eigentlich dankbar sein. Und die Bäckersfamilie sowieso. Die Kunden, die sich frühmorgens bei Beeke und ihren Kolleginnen mit Brötchen und Bild-Zeitung eindecken, gehören überwiegend zur Arbeiterschaft der Eisfabrik, etliche kommen sogar aus der Kreisstadt her und lassen hier im Laden die Kasse klingeln. Ohne Unternehmer wie ihren Vater wäre hier doch längst tote Hose. So ist es doch. Aber wenn sie das alles aussprechen würde, würde Beeke ihr jedes Wort als Arroganz auslegen. Das ist so unfair.
    »Ihr solltet euch schämen.«
    Beeke schiebt trotzig die Unterlippe nach vorn. »Wir denken nur an die Kunden, sagt die Chefin.«
    »Eine Kundin habt ihr gerade verloren.«

Grischa
    Ich hab den Stein mitgenommen. Und dein Kleid. Es ist völlig verrückt, viel zu riskant, ich weiß, aber ich darf diese Verbindung zu dir nicht verlieren. Du bist alles, was ich noch habe. Jetzt gehöre ich dir ganz, wie du es dir gewünscht hast. Wie sollte ich jemals von dir loskommen? Aber eins muss ich dir trotzdem sagen: Geliebt habe ich dich nie. Dafür waren wir uns viel zu ähnlich. Da hätte ich ja erst mal mich selbst lieben müssen. Und wie soll das gehen? Das ist eine Frage, die du mir sowieso nicht beantworten kannst.
    E rwartungsgemäß ist Helene nicht nur beleidigt, sondern auch ziemlich beunruhigt und erklärt Marit ohne Umschweife für lebensmüde. Dabei hat sie ihr doch gerade versichert, dass sie es keineswegs auf eine Begegnung mit Grischa anlegt, sie will bloß sein Hausboot unter die Lupe nehmen, Informationen über ihn sammeln.
    »Und wo liegt dieses Schiff genau?«
    Marit verrät es zögerlich, aber zugleich voller Stolz, denn der Liegeplatz war nicht einfach zu finden. Sie hat sich durchgefragt. Irgendwo im Hamburger Hafen, hat Zoés Mutter gesagt, und der Hafen ist riesig, ein Labyrinth aus Hafenbecken, Kaianlagen und Fleeten. Die Ausmaße flößen Marit Respekt ein, sie ist nun mal ein Landei. Allein die Containerterminals nehmen so viel Platz ein, dass ihr Kaff zehnmal reinpassen würde – mindestens. Container, haushohe Verladekräne und Frachtschiffe, so weit das Auge reicht.
    Als sie und Ansgar klein waren, war eine Fahrt durch den Hafen für sie die Krönung eines Hamburgbesuchs, weil man die Köhlbrandbrücke überqueren musste und von dort aus nicht nur die Elbe, den Michel und den Fernsehturm sehen konnte, sondern, wenn Dom war, auch das Riesenrad, was sie beide sensationell fanden, fast noch besser als den Dom selbst.
    Die Aussicht, die Marit in dieser Minute hat, ist weniger berauschend: rechts ein niedriger Deich, links ein mehr oder weniger stillgelegtes Hafenbecken, in dem ein halbes Dutzend Schuten vor sich hin rostet. Auf einigen der Lastkähne wurden schuppenähnliche Aufbauten aus Holz errichtet und bunt angepinselt. Solarzellen auf den Dächern. Das Boot, das sie Grischa zuordnet, hat einen dunkelroten Anstrich – wie passend. Das ganze Gelände wirkt provisorisch und erinnert an eine Bauwagensiedlung von Umweltaktivisten, Greenpeace oder so. Nur eben schwimmend.
    »Wie kannst du dir so sicher sein, dass du das Boot von diesem Grischa gefunden hast?«, will Helene am anderen Ende der

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