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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Geschäftsmann in leitender Position. Von so einem hat Marit gewiss nichts zu befürchten. Zumal die Art, wie er ihr beim Verschnaufen zusieht – kurze verstohlene Seitenblicke, so richtig auffällig unauffällig –, vermuten lässt, dass es für sie beide die erste Erfahrung in Sachen Trampen ist. Genau genommen ist sie ja auch nicht getrampt, sie hat weder den Daumen rausgestreckt noch hat der Geschäftsmann freiwillig für sie angehalten, er war ihr an der roten Ampel mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Und genauso scheint er sich nun auch zu fühlen.
    »Du wirst mich doch jetzt nicht ausrauben, oder?«, fragt er und kichert verlegen, wie zur Entschuldigung, weil er überhaupt an so etwas denkt.
    Wahrscheinlich gehört er zu jenen Spießern, für die Jugendliche per se eine Bedrohung darstellen, lauter potenzielle Gangmitglieder und S-Bahn-Schläger, egal ob männlich oder weiblich.
    »Sehe ich so aus?«
    »Nein, natürlich nicht«, beeilt sich der Geschäftsmann zu versichern. »Du siehst durstig aus. Im Handschuhfach müsste noch eine kleine Flasche Wasser sein, wenn du magst.«
    Marit bedient sich. »Danke. Das war nötig.« Sie muss an die Zitronenlimonade ihrer Mutter denken, die Handwerker, ihre Verabredung mit Jan für den Abend. Laut Digitalanzeige unter dem Schlitz des CD -Players ist es erst halb sechs. Was für ein langer Tag. Sie will heute Abend zum Kino unbedingt pünktlich sein.
    »Ist es nicht komisch, dass es Handschuhfach heißt, obwohl niemand Handschuhe darin aufbewahrt?«, fragt sie. Einfach so, um Konversation zu machen und damit der Geschäftsmann nicht seinerseits fortfährt, ihr Fragen zu stellen. Zum Beispiel wo sie hinwill, das dürfte ihn als Erstes interessieren und leider weiß sie die Antwort nicht. Die Rückkehr zum Mini birgt ein erhebliches Risiko. Andererseits kann sie ihr Auto ja nicht einfach im Hamburger Hafen stehen lassen.
    Wie zu erwarten war, ist der Geschäftsmann an Konversation über Handschuhfächer nicht interessiert. Stattdessen will er wissen, ob sie in Ordnung sei.
    Marit nickt. Ein bisschen ärgert sie das Geduze, schließlich ist sie über achtzehn.
    Der Geschäftsmann hat eindeutig beschlossen, keine Angst mehr vor ihr zu haben, und spricht nun mit einer Stimme, die sie an einen Psychotherapeuten denken lässt. »Wo willst du eigentlich hin?«
    Das musste ja kommen. Sie zuckt mit den Schultern.
    »Steckst du in Schwierigkeiten?«
    Erneutes Schulterzucken.
    »Hat dich jemand verfolgt?«
    Sie muss eine Entscheidung treffen. Dieser durch und durch brave Geschäftsmann ist offenbar willig, ihr zu helfen, und sei es nur, um sie schnellstmöglich wieder loszuwerden. Dass ihre Anwesenheit ihn nicht gerade zu Begeisterungsstürmen verleitet, ist verständlich. Also bejaht sie und tischt ihm die Geschichte von einem Exfreund auf, der die Trennung nicht verkraftet. Nach kurzem Hin und Her erklärt er sich bereit, Marit zu ihrem Auto zu fahren und ihr vor Ort gegebenenfalls den Rücken frei zu halten.
    Der Mini steht unbehelligt unter dem Baum, wenn auch nicht mehr im Schatten, da die Sonne gewandert ist. Niemand ist zu sehen.
    Kaum ist Marit aus dem Geländewagen geklettert, zieht der Geschäftsmann die Tür von innen zu und gibt Gas. Sie kommt nicht mal mehr dazu, sich fürs Mitnehmen zu bedanken. Sei es drum.
    Sie steigt ein, startet den Motor und will gerade losfahren, da kommt Grischa über den Bootssteg auf sie zu. Die Straße ist schmal, links der Deich, rechts das Wasser. Eine Sackgasse, begrenzt durch die Gleise, über die sie zuvor gerannt ist. Marit hupt. Wenn der Kerl nicht aus dem Weg geht, kann sie unmöglich fahren, genau darauf legt er es an. Diese Ratte. Marit verriegelt die Türen.
    Beim Mini angekommen, stützt Grischa sich mit beiden Händen auf die Motorhaube, als wolle er den Kleinwagen aus eigener Kraft rückwärtsschieben. Durch die Frontscheibe starren sie einander an.
    Patt. Sobald er sich anschickt, zur Fahrertür zu gelangen, hat sie freie Bahn. Solange er jedoch in dieser Position ausharrt, ist sie machtlos.
    Grischa tippt sich gegen die Stirn, um ihr zu signalisieren, was er von ihr hält, dann schlägt er mit der Faust auf das Blech der Haube, dass es nur so knallt.
    »Selber durchgeknallt, du Arschloch«, murmelt Marit und drückt nochmals auf die Hupe, diesmal lang anhaltend.
    Grischa ruft etwas, das sie nicht versteht.
    Schließlich trifft sie eine Entscheidung. Obwohl sie dem Geschäftsmann das ganze Wasser weggetrunken hat, wird

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