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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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hinweggrölen ließ: Ist sie übergeschnappt? Sie könnte tot sein. Grischa könnte tot sein! Was ist nur in sie gefahren?
    Die Bremslichter ihres Vordermannes leuchten auf, und Marit muss voll auf die Bremse treten.
    Sie erreicht das Pressehaus in der Kreisstadt kurz vor acht. Betonfrisur macht gerade Feierabend. Marit gibt Grischas Tasche ab, bittet die Empfangsmitarbeiterin eindringlich darum, diese unverzüglich an Helene weiterzuleiten, und macht sich aus dem Staub, bevor diese widersprechen oder sie mit Fragen belästigen kann. Keine fünf Minuten später ist Helene erneut am Telefon.
    »Spinnst du, Marit?«
    »Wieso?«
    »Was soll ich damit?«
    »Na, was wohl. Den Bullen übergeben, am besten dieser Birte Varnhorn. Das ist Beweismaterial.«
    »Und was soll ich Frau Varnhorn sagen, wenn sie mich fragt, woher ich die Sachen habe?«
    »Nichts natürlich. Kein Sterbenswörtchen. Informantenschutz«, sagt Marit triumphierend, denn sie ist ziemlich stolz auf diesen Schachzug. Auf diese Idee zu kommen, hat sie einiges Kopfzerbrechen gekostet.
    »Die wird mich aber in die Mangel nehmen«, jammert Helene.
    »Sag einfach, du weißt nichts. Die Tasche wurde anonym abgegeben und fertig. Sei nicht so eine Memme.« Weil Helenes Schweigen beleidigt klingt, fügt sie noch ein »Dankeschön« hinzu.
    »Du hättest mich wenigstens vorher fragen können.«
    »Stimmt«, gibt Marit zu. Sie hat es sich leicht gemacht. Der Tag war schon schwer genug.
    »Du bist echt nicht teamfähig. Null.«
    »Deswegen will ich ja auch Chef werden.«
    Das sollte ein Witz sein, um die Stimmung zwischen ihnen aufzulockern, aber Helene geht ernsthaft darauf ein: »Du glaubst doch nicht, dass Führungskräfte heutzutage mit so einer Tour durchkommen. Ohne Teamfähigkeit läuft gar nichts. Außerdem bin ich nicht deine Angestellte.«
    »Lene!«
    »Lene, was?«
    »Lene, bitte.«
    »Du musst lauter sprechen, ich hör dich nicht.«
    »Bitte, bitte, bitte!«
    »Ist ja gut«, erwidert Helene, halbwegs besänftigt. »Ich mach’s ja.«
    Kurz nach neun parkt Marit vor dem dreistöckigen Rotklinkerhaus, in dem Jan mit seiner Mutter in einer Dreizimmerwohnung unter dem Dach lebt. Ihre Haare sind noch feucht vom Duschen, sie hatte kaum Zeit zum Schminken, und ihre Nase ist von der Sonne tiefrot. Die Nase verbrennt bei ihr immer zuerst. An das neue Kleid hat sie sich wieder nicht herangewagt, stattdessen trägt sie ein ärmelloses weißes Rüschentop mit Blütenstickerei am Ausschnitt, weil sie weiß, dass es Jan sehr gefällt, marineblaue Marlenehosen aus Leinen und Riemchen-sandalen, die sie als ihre persönlichen High Heels bezeichnen würde, ihre Freundinnen hingegen als flache Schuhe. Kurzer Rock war nicht drin. Ihre Beine sind zerkratzt, teilweise sogar blutig, was beim Rennen passiert sein muss, trockenes Buschwerk neben den Schienen oder so. Bemerkt hat sie davon nichts.
    Sie steigt aus und klingelt unten an der Tür, obwohl sie einen Schlüssel besitzt, worauf, wie erwartet, Jans Stimme durch die Gegensprechanlage rauscht: »Ich komme.«
    Jetzt endlich fällt ihr wieder ein, dass sie ihrem Freund noch eine Portion Vorfreude schuldet, die sich auch prompt einstellt und umgehend belohnt wird, denn keine Minute später ist er da, sieht sie und strahlt über das ganze Gesicht. Ein langer Kuss, eine 1- a-Umarmung und seine Standard-Rendezvous-Eröffnung: »Du siehst scharf aus.« Mit Blick auf ihre Nase fügt er hinzu: »Wohl zu lange in der Sonne gelegen.«
    Am liebsten würde sie lossprudeln wie ein Kind nach einer Karussellfahrt, sich in einem ausschweifenden, chaotischen Redeschwall verlieren, um ihrem Freund klarzumachen, was es mit dem Sonnenbrand auf sich hat, doch da öffnet sich die Haustür ein zweites Mal. Jans Mutter erscheint und gesellt sich mit einem herzlichen Gruß zu ihnen. Ella ist gehörig aufgebrezelt: türkisfarbenes Sommerkleid, dazu Pumps, deren Absätze definitiv hoch sind. Unter dem Arm trägt sie eine Decke, in der anderen Hand einen Picknickkorb.
    »Das ist wirklich nett, dass ihr zwei mich heute Abend ausführt«, sagt sie. »So komme ich endlich mal wieder unter die Leute. Und gerade diesen Film wollte ich immer schon mal sehen.«
    Ja klar, das ist genau Ellas Ding: zuzuschauen, wie sich irgendwelche abgewrackten Gangstertypen in einer mexikanischen Wüsten-Kaschemme in noch abgewracktere Vampire verwandeln. »Der ist aber ziemlich blutig«, sagt sie, als könne Jans Mutter es sich daraufhin doch noch anders überlegen.
    »Macht

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