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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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gleich mit?«, erkundigt sich die Hippiefrau.
    Alle lachen, obwohl es nicht komisch ist und die Alte kein bisschen so aussieht, als hätte sie einen Witz gemacht.
    Bald darauf will Jan nach Hause. Nachdem er die Rechnung beglichen hat, sagt der Kellner: »Janni, mach’s gut.«
    »Wer war das denn?«, fragt Marit im Auto.
    »Wer?«
    »Na, der Kellner.«
    »Irgendein Kellner halt. Wieso?«
    »Er kannte dich, er wusste ja sogar, wie du heißt.«
    »Der ist früher bei uns auf die Schule gegangen.«
    »Echt? Welcher Jahrgang denn? Der war doch mindestens fünfundzwanzig.«
    »Marit«, sagt Jan, schaltet das Radio ein, stellt die Rückenlehne in eine halb waagerechte Position und lehnt sich zurück. »Ich bin müde. Können wir fahren?«
    Gehorsam startet sie den Motor, legt den ersten Gang ein. Bevor sie vom Parkplatz rollt, vergewissert sie sich, dass Jan angeschnallt ist. Sein Verhalten wirkt auf sie wie eine Bestrafung: Liebesentzug. Sich seiner vorbehaltlosen Zuneigung nicht mehr sicher zu sein, überfordert sie, also konzentriert sie sich aufs Fahren. Die feste Abfolge der immer gleichen Handgriffe stabilisiert ihren Gemütszustand.
    »Er hat gefragt: wie immer?«, nimmt sie den Faden wieder auf, als sie die Bundesstraße erreichen.
    »Wer?«
    Sie spricht langsam und deutlich wie mit einem begriffsstutzigen Kind: »Der Kellner. Im Beach-Klub.«
    »Na und? Ich war irgendwann mal mit Hendrik da, nachdem Franka ihm den Laufpass gegeben hatte.«
    »Davon hast du mir nie erzählt.«
    Jans Schweigen hat eine lärmende Note. Er schließt demonstrativ die Augen, gibt vor, zu entspannen.
    »Und weil ihr ein einziges Mal dort wart, fragt der Kellner gleich: wie immer? Wie immer – das impliziert doch eine gewisse Häufigkeit.«
    Jan macht die Augen wieder auf. »Du nervst. Es war nur ein Mal. Bin ich jetzt plötzlich Gegenstand deiner Ermittlungen? Brauche ich einen Anwalt?«
    »Nein, natürlich nicht«, beeilt sich Marit abzuwiegeln. »Ich hab mich nur gewundert.«
    »Mich wundert auch einiges.«
    Für den Rest der Fahrt ist Jan eingeschnappt, verschanzt sich hinter diesem neuen lauten Schweigen, blickt aus dem Seitenfenster ins Dunkel, die Arme vor der Brust verschränkt.
    Marit fragt sich, warum sie Schuldgefühle hat und er nicht. Wenn sie die letzten Stunden Revue passieren lässt, kommt sie unweigerlich zu dem Schluss, dass er ein Riesenarschloch war – ganz objektiv betrachtet. Nicht nur weil er ihr alles Mögliche an den Kopf geworfen und sich im Ton vergriffen hat. Viel schlimmer ist das, was im Meer passiert ist. Sein Verhalten musste auf eine Außenstehende zwangsläufig lebensmüde wirken, für Marit ist es einfach nur ein Rätsel. Wie konnte er das Schicksal so herausfordern, einzig und allein um Spaß zu haben? Oder ging es in Wirklichkeit nur um ihre Reaktion, die für ihn vorhersehbar gewesen sein muss? Wollte er genau diesen Konflikt heraufbeschwören? Am Ende hält Jan sie insgeheim für langweilig, und das nicht erst seit heute. Womöglich ist er schon lange angeödet und betrachtet nun Marits Bereitschaft, auf der Suche nach Ansgars Mörder ungeahnte Risiken einzugehen, als direkte Provokation. Dann hätten sie ein echtes Problem.
    Es ist wie ein Fluch: Seit Zoé tot ist, scheint alles in die Binsen zu gehen: ihre Familie, ihre Liebe, ihre Zukunftspläne. Allmählich beschleichen Marit Zweifel, ob sie tatsächlich in die Eisfabrik einsteigen will, das Dorf kommt ihr neuerdings wie eine Falle vor: das ganze Gerede hinter ihrem Rücken, der Boykott ihrer Waren beim Bäcker, die eingeschlagenen Scheiben.
    Marit legt beide Hände aufs Lenkrad, lässt sich vom Aufblitzen des Mittelstreifens hypnotisieren und verbannt sämtliche Gedanken aus ihrem Kopf, nur darauf bedacht, nicht zu stark zu beschleunigen, denn es ist ziemlich kurvig. Sie sind fast da, passieren ein Nachbardorf. Die verwaiste Tankstelle, die niemand kaufen will: sämtliche Scheiben mit Brettern oder Presspappe vernagelt, die Zapfsäulen abmontiert, überall Unkraut. Das Sanitätsgeschäft daneben. Noch nie ist ihr die Gegend so rückständig, so hoffnungslos verloren erschienen.
    Hast du Scheiße am Schuh, hast du Scheiße am Schuh – irgendwie wird Marit das Gefühl nicht los, dass alles, was vor sich geht, irgendwie zusammenhängt. Das verrät ihr der eigene Instinkt. Aber wie? Das verrät er ihr nicht.
    »Könntest du dir auch vorstellen, ganz woanders zu leben?«, fragt sie Jan.
    »Klar.« Seine Stimme ist rau.
    »Und mit wem?«, fragt

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