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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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verhärtet sich.
    Ausgerechnet jetzt pinselt die Natur einen Sonnenuntergang erster Güte an den Horizont und liefert ihm eine Ausrede dafür, nicht sofort zu antworten. »Schau mal. Schön, oder?«
    Marit zuckt mit den Schultern. Der rosa marmorierte Himmel, das letzte Flirren des roten Feuerballs, bevor das Wasser ihn verschlingt – schön, ja klar, aber sie ist nicht in der Verfassung, um andächtig zu staunen. Normalerweise hält sich Jans Sinn für Romantik in Grenzen, und sie muss auf dies und jenes deuten, eine Blume, ein Panorama, eine malerische Wolkenformation. Jans Ablenkungsmanöver beleidigt ihre Intelligenz. Sie will mit ihm über Zoé reden, und das sagt sie ihm auch.
    »Ich wünschte, du hättest heute nicht damit angefangen«, erwidert er.
    »Wann denn dann?«
    Die Sonne ist weg, ringsum wird vereinzelt applaudiert. Eine alte Frau mit einer mädchenhaften Stimme steht etwa zehn Meter von ihnen entfernt plötzlich auf und fängt an zu singen, beide Arme ausgebreitet. Sie trägt ein knöchellanges Batikkleid.
    »Pff«, macht Jan und tippt sich gegen die Stirn. »Guck dir die an.«
    »Warum blockst du bei diesem Thema so ab? Auch wenn du dich weder für Zoé noch für Ansgar interessierst, müsste es doch eine Rolle spielen, wie wichtig mir die Sache ist.«
    »Tut es ja. Aber …« Er lässt den Satz in der Luft hängen und gafft die Hippie-Oma an, als gäbe es auf der ganzen Welt nichts Spannenderes.
    »Was aber?«
    »Müssen wir das jetzt wirklich durchkauen?«
    »Ja!«
    »Na, dann erzähl schon von deiner Recherche.«
    Marit ignoriert die Ironie, die ihr aus seiner Stimme entgegenstaubt, und sieht zu, dass sie ihre Geschichte loswird, ungeachtet des ärgerlichen Gefühls, seine Aufmerksamkeit nur zur Hälfte gewonnen zu haben, wenn überhaupt. Sein Blick wandert rastlos umher. Das ändert sich erst, als es um Grischa geht.
    »Du kannst doch nicht so einen Riesenmist verzapfen«, ruft er und krallt die Finger in den Sand neben dem Laken. »Das glaub ich einfach nicht. Es ist, als wärst du eines Morgens aufgestanden und hättest beschlossen, nicht mehr so weiterzuleben wie bisher, sondern eine Idiotin aus dir zu machen.«
    »Ich habe überhaupt nichts beschlossen. Ein Mädchen wurde ermordet, und mein Bruder kam deshalb ins Gefängnis. Warum kannst du nicht einsehen, dass ich nur das tue, was ich tun muss, und endlich anfangen, mir zu helfen, wie du es mir gestern am Telefon versprochen hast?«
    »Helfen? Bei Einbrüchen in fremder Leute Wohnungen?«
    »Wenn es sein muss. Wo du doch solche Angst um mich hast. Das hast du jedenfalls behauptet.«
    »Aber nur, damit du einen Rückzieher machst. Ich hätte dich für vorsichtiger gehalten. Allmählich bekomme ich eher Angst vor dir als um dich, um ehrlich zu sein.«
    Marit schlingt die Arme um ihre angewinkelten Knie. Blaue Stunde. Containerschiffe steuern die Elbmündung an wie an einer unsichtbaren Schnur aufgezogen, die Lichter funkeln im Tintenblau, in das die Dämmerung unerbittlich das Schwarz der Nacht träufelt.
    Das Meer so nah.
    Jan so weit weg.
    »Sag so was nicht«, bittet sie.
    Vielleicht sollten sie hier abbrechen und baden. Wasser ist mittlerweile genug vorhanden, die Tide wird bald ihren Scheitelpunkt erreichen.
    »Marit, hör mir zu. Ich muss etwas loswerden. Es fällt mir nicht leicht …« Wie um seine Worte zu unterstreichen, verschluckt er sich an seiner eigenen Spucke und wird von einem heftigen Hustenanfall durchgeschüttelt.
    Marit wartet ab, lässt sein Gestammel stoisch über sich ergehen.
    »Ich … Du … Ich …«
    Dann wieder Husten, keuchend, nahezu asthmatisch. Wenn er aufgeregt ist, passiert ihm das manchmal. Marit hat es selbst unlängst miterlebt, durch die geschlossene Tür eines Schulflurs, als er bei seiner mündlichen Abiturprüfung eine Frage nicht wusste. Ausgerechnet in Mathe. Jan ist genauso ein Streber wie sie, will überall Einsen sammeln für einen makellosen Lebenslauf. Doch sie sind hier nicht in der Schule und das ist keine Prüfung. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein, wenn er mit ihr redet.
    Marit holt eine Flasche Wasser aus ihrem Rucksack und hält sie ihm hin, worauf Entrüstung in seinem Gesicht aufblitzt, als wolle sie ihn mit dieser freundlichen Geste verhöhnen.
    Aber er trinkt und der Husten beruhigt sich.
    »Also?«
    Jan atmet durch. »Ich kann dir in dieser Angelegenheit nicht helfen, zumindest nicht so, wie du es gern hättest. Weil ich überzeugt davon bin, dass du dich irrst. Ich halte

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