Luegensommer
fragt Marit sich, was sie tun soll, sollte er nicht bald zur Besinnung kommen. Sie hat mal aus Spaß einen Rettungsschwimmerschein gemacht, bergen könnte sie ihn wohl, das würde allerdings eine gewisse Mitwirkung voraussetzen, zumindest Passivität seinerseits. Gegen seinen Willen kriegt sie ihn nicht an Land. Sie können doch nicht hier draußen miteinander kämpfen. Allmählich wird ihr bewusst, dass es brenzlig werden könnte. Aus der Tiefe greift eine kalte Hand nach ihrem Herzen.
Dann das Boot. Ein DLRG -Schlauchboot mit Motor, zwei Mann Besatzung. Der Strahl eines Suchscheinwerfers huscht über die Wasseroberfläche. Ohne zu überlegen, steckt Marit zwei Finger in den Mund und pfeift so laut sie kann.
»Hier sind wir.«
Sobald der Lichtstrahl sie erfasst, winkt sie mit beiden Armen und die Männer an Bord winken zurück.
Gerettet.
Jan macht Faxen, dreht sich auf den Bauch und lässt sich treiben wie auf einer Luftmatratze.
»Du steigst da jetzt ein«, zischt Marit ihm zu, als er die Hände der Helfer zunächst ignoriert.
An Bord großes Hallo. Obwohl ihnen nicht kalt ist, bekommen sie Decken über die Schultern gelegt.
»Schwein gehabt«, sagt einer der Rettungsschwimmer, eigentlich sei ihr Dienst längst vorbei, aber sie hätten noch im Beach-Klub bei dem einen oder anderen Cocktail zusammengesessen. Ausnahmsweise. Sein Augenzwinkern verrät die Schwindelei.
Beide Seiten haben kein Interesse an einem offiziellen Bericht: Die Rettungsschwimmer hätten derartig alkoholisiert überhaupt nicht ins Boot steigen dürfen, und Jan befürchtet, den Einsatz bezahlen zu müssen. Man vereinbart Stillschweigen.
Am Strand werden sie von der betagten Hippiefrau erwartet. Wie sich herausstellt, ist sie diejenige, die im Beach-Klub Hilfe geholt hat, nachdem sie Jan und Marit eine ganze Weile beim Schwimmen beobachtet und schließlich aus den Augen verloren hatte.
Eine Einladung in den Beach-Klub ist das Mindeste, was sie ihren Rettern schulden.
Es ist viel los, sie müssen zwischen den Gruppen umhergehen und sich ihre Klappliegestühle zusammensuchen, diese instabilen Holz-Stoff-Konstruktionen, an denen Marit sich immer die Finger einklemmt. Scheppernder Latinopop aus den Lautsprecherboxen über der Bar.
»Die nächsten Runden gehen an mich«, sagt Jan großspurig, kaum dass sie sitzen.
Im Augenblick regt Marit alles an ihm auf.
Der Kellner kommt, begrüßt ihn mit einem kumpelhaften Klaps auf den Rücken und fragt: »Wie immer?«
Eine Verwechslung vermutlich, denn Jan wirkt irritiert, zeigt keinerlei Reaktion des Erkennens.
Marit bestellt einen Virgin Colada, da ihr Bedarf an Alkohol gedeckt ist. Die anderen wenden sich Hochprozentigem zu, Caipirinha, Jägermeister. Jan straft seine Prinzipien Lügen, indem er gleich drei Wodka trinkt. Marit versucht sich einzureden, es sei ihr egal.
Während die Stimmung im Klub allmählich ballermannartiges Niveau erreicht, tauchen am schwarzen Himmel über dem Meer leuchtende Nachtwolken auf, geisterhafte, helle Schleier in Silber und Blau. Marit weiß, sie leuchten nicht von innen heraus, sondern segeln so hoch am Himmel dahin, dass das längst hinter dem Horizont verschwundene Sonnenlicht sie noch erreicht, etwa achtzig Kilometer über ihr, in der kältesten Schicht der Luft. Sie sind eine Folge des Sternenstaubs, der ununterbrochen auf die Erde rieselt. Und sie bringen Glück, das haben Jan und sie im vorigen Juli auf der Hollywoodschaukel beschlossen, als er ihr das Phänomen erklärte, um sie zu beeindrucken. Viel genauer, als sie es sich hätte merken können. Meteorologie soll sein Nebenfach an der Uni werden.
Die Gespräche in der Runde drehen sich nicht um Wolken, sondern um Fußball und langweilen Marit ebenso wie die alte Dame im Batikkleid. Sie rühren in ihren Drinks, lächeln einander gelegentlich zu und betrachten mal den Nachthimmel, mal den Schiffsverkehr in der Elbmündung. Containerfrachter. Ein Ausflugsdampfer, hell erleuchtet. Ein dunkles Tankschiff, nur die Positionslaternen sind eingeschaltet.
Jan macht einen Kommentar über irgendeinen Verein, bei dem es anscheinend nicht so gut läuft zurzeit: »Entweder es klappt alles oder es klappt nichts, so ist das im Fußball: Hast du Scheiße am Schuh, hast du Scheiße am Schuh.«
Eine Weisheit, die sich durchaus auf sie und ihn anwenden lässt. Schon wieder ein vergeigter Abend.
»Wieso will sich eigentlich so ein Schlauberger wie du unbedingt in der Nordsee ertränken und seine hinreißende Freundin
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