Luegst du noch oder liebst du schon Roman
frischen Luft und habe mit viel Glück siebeneinhalb Kalorien verbrannt.
Wieder zu Hause sehe ich den Anrufbeantworter blinken - Panik steigt in mir auf. Ist Sammy etwas passiert? Ich verfluche mich dafür, dass ich mein Handy in der Wohnung vergessen habe. Ich bin eine Rabenmutter!
Doch statt Ralfs Stimme, die mich darüber informiert, dass Sammy einen Unfall hatte / krank ist / sich verliebt hat oder für den Rest seines Lebens auf Sylt bleiben will, erfüllt ein fremdes Timbre den Raum:
»Hallo, hier ist Oliver Kramer … vom Speed-Dating. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an mich? Ich wollte fragen, ob Sie zufällig … spontan … heute Abend Lust hätten, mit mir essen zu gehen.«
Ungläubig höre ich die Nachricht dreimal hintereinander ab. Das Ergebnis ist jedes Mal dasselbe: Oliver Kramer
will sich mit mir treffen. Heute! Und auch noch zum Abendessen, nicht nur zu einem unverbindlichen, kurzen Kaffee.
Ich rufe Mia an. In Momenten wie diesen braucht man einfach den Rat einer besten Freundin.
Nachdem sie sich leicht keuchend meldet (fummelt Herr Doktor Humbert etwa gerade an ihr herum?), spiele ich ihr Olivers Nachricht vor.
»Aber das ist doch … hey, lass das, ich telefoniere gerade mit Franca … mhmm … super!«, schnurrt Mia, und ich mag gar nicht daran denken, was die beiden da gerade treiben. Bezieht sich das »super« auf die sexuellen Fertigkeiten ihres Anwalts, oder ist es ein Kommentar zu Olivers Anruf?
»Du scheinst nicht ganz bei der Sache zu sein, ich melde mich wohl besser morgen wieder«, sage ich knapp und drücke den Aus-Knopf. Dann umkreise ich das Telefon wie ein Geier seine Beute.
Soll ich Oliver jetzt wirklich anrufen und mich verabreden? Wieso hat er eigentlich heute Zeit? Was ist denn mit seiner kleinen Tochter Lucia? Ist sie vielleicht bei ihrer Mutter, und Oliver möchte den freien Tag nutzen - so wie ich? Fragen über Fragen …
Dabei fällt mir siedend heiß ein, dass ich gestern im Eifer des Gefechts die Wahrheit ein bisschen … variiert … habe. Wenn man es genau nimmt, habe ich Oliver Kramer sogar nach Strich und Faden belogen. Wenn ich ihn also heute, morgen oder in sieben Jahren treffe, muss ich ihm auf alle Fälle als Erstes die Wahrheit sagen.
Mein Herz schlägt bei dem Gedanken schneller. Nicht
gerade erstrebenswert, als Lügnerin dazustehen. Andererseits wird ihn die Tatsache, dass ich Mutter bin, nicht besonders erschüttern, schließlich ist er selbst Vater. Sollte er allerdings Wert auf Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen legen, könnte mich das alles schneller ins Aus befördern, als ich bis drei zählen kann.
Und ich will nicht ins Aus!
Das Schicksal hält mir Oliver Kramer seit unserem Treffen im Raio Solar ständig wie einen Köder vor die Nase - das rettende Glas Wasser für eine Ertrinkende, die ein halbes Jahr durch die Sahelzone gewandert ist, mit nichts als ein paar Lutschbonbons im Gepäck. ICH WILL DIESES GLAS WASSER!
Okay, Franca, dann raff dich auf, und bring’s hinter dich! Am besten, du sagst ihm gleich am Telefon die Wahrheit - dann kann er sich immer noch überlegen, ob er mit dir zu Abend essen will.
»Freue mich, dass Sie anrufen!«, meldet sich Oliver nach dem zweiten Klingeln, und ich bete, dass er mich nicht verwechselt. Vielleicht hat er ein schlechtes Namensgedächtnis und denkt die ganze Zeit, die Zarte mit den Rehaugen hieße Franca Peters? Oder die vollbusige Blondine mit der strengen Hornbrille auf der Nase? Männer stehen doch auf diesen Clash zwischen intellektueller Strenge und Sex-Appeal.
»Ja, äh, gut, dass ich Sie erreiche«, stottere ich und versuche zu verhindern, dass meine Stimme sich überschlägt. »Ich, ich würde Ihnen gern etwas sagen, bevor …«
»Was halten Sie vom L’incontro in der Weidenallee?«, fällt Oliver mir ins Wort. Offenbar hat er es eilig, unser
heutiges Date unter Dach und Fach zu bringen. »Dort ist es angenehm unkompliziert und familiär, man isst hervorragend, und es ist ganz in der Nähe des Catwalk-Cafés.«
Noch während ich überlege, warum es für Oliver wichtig ist, dass sich der Italiener in der Nähe des Speed-Dating-Cafés befindet, und mich wundere, dass er meinen Lieblingsitaliener vorschlägt, sage ich auch schon reflexartig zu. Dann beichte ich meine Missetaten eben beim Aperitif …
Bis zu unserer Verabredung bleibt mir noch exakt eine Stunde. Ich durchwühle hektisch meinen Kleiderschrank und entscheide mich für einen (knappen!) Jeansrock und ein dunkelblaues
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