Luegst du noch oder liebst du schon Roman
seine Lippen sind nun dicht an meinem Ohr.
Ich verkneife mir einen Witz darüber, dass wir eventuell kein Wasser haben werden, denn damit scheint es auf Can Naranja immer wieder Probleme zu geben.
»Wenn alle Gäste auf einmal duschen«, hatte Juan mich freundlich, aber ohne echtes Bedauern aufgeklärt, »kann es schon mal zu Engpässen kommen. Sie wissen
bestimmt, wie knapp das Wasser im Sommer auf der Insel ist.«
»Du antwortest ja gar nicht. Bin ich dir zu nahe getreten?«
Nein, noch nicht nahe genug! Nimm mich hier und jetzt, ehe ich es mir anders überlege …
Laut sage ich:
»Ich würde gern in Ruhe noch ein paar Bahnen schwimmen. Treffen wir uns doch einfach in einer Stunde auf der Terrasse zum Frühstück, und dann überlegen wir, was wir heute machen. Ich bringe einen Reiseführer mit.«
Meine Güte, was ist denn auf einmal los mit mir?
Es ist noch gar nicht lange her, da hat mich meine übersteuerte Libido in eine vertrackte Situation gebracht. Und nun, wo ich endlich Sex haben könnte, kneife ich.
»Ja, okay, wenn du meinst«, sagt Oliver und klingt enttäuscht. »Dann schwimm in Ruhe deine Bahnen. Bis später.«
»Bis dann«, murmle ich zaghaft und schaue ihm nach. Soll ich ihm hinterhergehen und ihn unter der Dusche überraschen?
Statt meinen Kreislauf durch morgendlichen Sex auf Trab zu bringen, schwimme ich noch ein paarmal hin und her, bis mir das plötzlich sinnlos erscheint. Eine dumme Ersatzhandlung, damit ich mich nicht mit meiner panischen Angst auseinandersetzen muss.
»Sex ist wie Rad fahren, das verlernst du nicht«, hat Mia mich beschwichtigt, als ich kurz vor dem Abflug diese Bedenken mit ihr erörtert habe.
»Aber ich fühle mich weder besonders sicher auf meinem
Rad noch fahre ich leidenschaftlich gern«, protestierte ich, was leider stimmt. Solange ich mich auf breiten, gut ausgebauten Radwegen ohne Gegenverkehr bewege, ist das alles kein Problem. Doch wenn ich in einer Stadt wie Hamburg zwischen Massen von Autos herumgurken und hoffen muss, dass die Autofahrer mich sehen, finde ich das extrem beängstigend.
Was also könnte beim Sex mein Pendant zum ausgebauten Radweg sein? Mein Sicherheitsnetz zwischen den vermeintlichen Fallstricken der Erotik? Von einem Kondom mal ganz abgesehen …
Inzwischen habe ich geduscht, mich geschminkt, und meine Haare sind geföhnt. Doch bedauerlicherweise ist meine Angst immer noch da und in der letzten halben Stunde sogar noch stärker geworden. Oliver hält mich bestimmt für prüde.
Vielleicht sollte ich mir heute Abend Mut antrinken und mich einfach fallen lassen? In seine Arme, seine Kissen oder wer weiß wohin. Hauptsache, ich liege und bin entspannt!
»Na, an welches Ausflugsziel hast du gedacht?«, fragt Oliver ein paar Minuten später beim Frühstück und tut so, als sei nichts passiert. »Hier, probier die mal, hausgemacht!« Er schiebt mir ein Glasschälchen mit gelber Marmelade über die weiße Tischdecke. Ich erschnuppere den Duft von frischen Zitronen. Köstlich!
Dann bestreiche ich einen Toast mit Butter und bestelle café con leche bei Maria, Juans Frau. Während ich gedankenverloren kaue und Oliver in meinem Reiseführer
blättert, ertönt aus der Küche ein spitzer Schrei. »Estúpida cabra!«, ruft Maria und scheucht einen altbekannten Freund auf die Terrasse - den Ziegenbock. Oliver fällt das Brot aus der Hand, und ich kann mich kaum halten vor Lachen.
Ich habe Angst vor Sex. Und Oliver hat Angst vor Ziegen!
»Geh zu Franca, die magst du doch so«, ruft er und scheucht den Bock in meine Richtung. Einige der anwesenden Gäste beginnen ebenfalls zu lachen, bis Maria schließlich mit einer Fliegenklatsche in der Hand auftaucht und der Ziege droht, was augenblicklich Wirkung zeigt, denn sie trabt Richtung Stall. Zu allem Überfluss klingelt nun auch noch mein Handy. Es ist meine Mutter, wie ich im Display erkennen kann.
»Tut mir leid, ich dachte, es sei ausgeschaltet«, sage ich entschuldigend in die Runde und ernte dennoch missbilligende Blicke der meist älteren Gäste. Im Einklang mit der Natur zu leben, bedeutet schließlich auch, auf das Mobiltelefon zu verzichten.
Damit Oliver das Gespräch nicht hört, setze ich mich auf die Bank, die vor dem Eingang zur Rezeption steht.
»Ist etwas mit Sammy?«, frage ich besorgt, denn eigentlich wollte meine Mutter mich nur im Notfall anrufen.
»Ja, nein, also doch …«, druckst sie herum, was sie sonst nie tut.
»Nun sag schon, was ist passiert?«, sage ich
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