Luftkurmord
mehr, als ich es zugeben wollte. Seine
zynische Art, seine trockenen Bemerkungen, seinen unglaublich schlechten
Geschmack in Kleidungsfragen. Wir waren ein eingespieltes Team gewesen. Er war
der Einzige, der mir Kritik um die Ohren hauen durfte, ohne dass ich in die
Luft ging. Und er war es auch gewesen, der vor anderthalb Jahren einen kühlen
Kopf behalten und mich vor einem irren Serienmörder gerettet hatte. Ich hatte
zu spät begriffen, hatte meine Instinkte als Kommissarin unter einer blinden Verliebtheit
vergraben und wäre beinahe gestorben. Matthias hatte die Katastrophe auf dem
Dach des Kölner Doms verhindert. Nicht verhindern konnte er die Wunden, die
dieser Fall hinterlassen hatte. Auch nicht, dass ich in Gemünd blieb, nachdem
meine nach diesen Erlebnissen notwendige Erholungs- und Nachdenkzeit im Schoße
der Familie direkt mit einem neuen Mordfall aufgemischt wurde. Er hatte weder
die Wunden heilen, noch mich zurück nach Köln holen können, obwohl er beides
gerne geschafft hätte. Also hatte er mir das geschenkt, was ihm als Symbol für
unsere gemeinsame Zeit am besten geeignet schien. Eine Kaffeemaschine und eine
Auswahl an verrückten Kaffeetassen. Alles, Maschine und Becher, war seit
Monaten unberührt.
Ich füllte den
Wassertank, schaltete das Gerät ein und faltete Reginas Brief auseinander.
»Ich sehe keinen Ausweg mehr. Alles ist mühsam, bemüht. Bin ich allein?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich bin einsam zwischen allen anderen. Es
liegt an mir. Ich kann es nicht wie die anderen. Konnte es noch nie. Ich habe
nichts mehr, wofür es sich noch lohnt zu leben. Keine Kinder, keinen Mann,
keine Familie. Das hätte ich mir gewünscht. Aber auch dazu hat mein Leben nicht
gereicht. Meine Ehe wurde mir genommen, bevor sie überhaupt angefangen hatte.
Ich hatte nie den Mut, mich dem Leben wirklich zu stellen, den Kampf
aufzunehmen. Alles ist gleich. Es wird nicht besser werden. Jetzt stelle ich
mich wenigstens dem Tod. Erkennt diesen Mut an, den ich zum Schluss aufbringen
werde.
Ein
Grab möchte ich nicht. Ein Grab ist für die, die dableiben, nicht für die, die
gehen. Von mir bleibt nichts da. Ein Urnenplatz genügt.
Papa
wird nichts begreifen. Sagt ihm, ich sei verreist. Er wird es vergessen und
zufrieden sein, wenn ihr ihm sagt, wir würden uns bald wiedersehen. Wer weiß,
vielleicht stimmt das sogar? Sorgt gut für ihn. Er hat es verdient.«
Ich legte den
Brief auf das Regalbrett. Behutsam, so, als ob mein Umgang mit Reginas
Abschiedsbrief noch etwas von meinem Umgang mit Regina wiedergutmachen könnte.
Der Text trug kein Datum, keine Unterschrift. Aber es war Reginas Handschrift.
Ich hatte sie gleich erkannt, und ein kurzer Schriftabgleich mit ihren Notizen
aus der Stadtverwaltung, den die Kollegen bereits vorgenommen hatten, ließ
keinen Zweifel. Hansen hatte entschieden, Reginas Tod als Selbstmord zu
behandeln. Tragisch, aber so etwas kam vor. Sie würde noch obduziert werden,
wie es bei Ertrinkungsopfern üblich war, und dann würde die Akte geschlossen.
Es war seltsam, dass
nicht ich die Akte schloss, sondern jemand anderes. Störte es mich? Ich hatte
es mir so vorgestellt und es auch so gewollt. Punkt. Alles andere war müßig.
Keine große Verantwortung mehr. Deswegen war ich wieder hier. Kein Druck,
falsche Entscheidungen zu treffen.
Die grünen Lichter
auf den Tasten der Kaffeemaschine signalisierten Arbeitsbereitschaft. Mattes
hatte es gut mit mir gemeint und mir nur entkoffeinierten Kaffee geschenkt. Ich
blickte kurz zu Judith, die immer noch konzentriert in ihren Unterlagen las.
Sie sah nicht auf. Egal. Auch entkoffeinierter Kaffee aus dieser Maschine wäre
besser als die Flurplörre.
»Hier, bitte.« Ich
stellte Judith die dampfende Tasse auf den Tisch. Überrascht blickte sie auf,
lächelte und zog den Kaffee zu sich heran. Ihr leise gemurmeltes »Danke« ging
in lautem Klopfen unter. Noch bevor eine von uns reagieren konnte, ging die Tür
auf und Hansen stand wieder in der Tür.
»Die Damen.« Seine
Anrede stand so unentschlossen im Raum wie er selbst.
»Der Bericht ist
fertig. Ich muss ihn nur noch ausdrucken, dann lege ich ihn dir auf den Tisch.«
Ich ging wieder zu meinem Platz, gab den Befehl ein und setzte mich. Dann sah
ich ihn an und wartete auf das, was er uns vermutlich mitteilen wollte.
Hansen lächelte,
betrat den Raum und zog sich einen Stuhl heran. »Darf ich?«
Judith schloss ihre
Akte. Ich nickte.
»Ein Leichenfund ist
nie leicht zu verkraften«,
Weitere Kostenlose Bücher