Luftkurmord
sagte er leise. »Besonders nicht, wenn man die Tote
persönlich kennt.«
In die folgende
Stille hinein spuckte der Drucker den Bericht aus. Hansen griff danach und
starrte darauf, ohne ihn zu lesen.
»Wenn du Hilfe
brauchst, Ina – dann melde dich bitte.« Er legte den Bericht auf den
Schreibtisch. »Das gilt natürlich auch für dich, Judith«, ergänzte er, stand
auf und ging zur Tür, ohne auf eine Antwort zu warten. Er wusste, warum ich
meinen Job bei der Kölner Polizei aufgegeben hatte und hier in die Eifel
gekommen war. Ich hatte es ihm in einer Art Bewerbungsgespräch erzählt und seit
meinem ersten Tag den Verdacht, er wolle mir den Übergang so leicht wie möglich
machen.
»Danke, Bernhard.
Ich denke darüber nach.«
»Ja.« Er legte die
Hand auf die Klinke und machte den Eindruck, noch etwas zu der Sache sagen zu
wollen, zögerte und sprach dann weiter: »Könnt ihr noch mal nach Gemünd fahren?
Präsenz zeigen auf der Modellbootregatta? Ich weiß nicht, wie die Leute auf die
Nachricht von Regina Brinkes Tod reagieren, und …«
»Ist in Ordnung.
Machen wir«, unterbrach ich ihn, froh, etwas zu tun zu bekommen. Eine
friedliche, freundliche Modellbootregatta am Zusammenfluss von Urft und Olef
war genau das Richtige.
»Wir könnten
noch einmal diesen Hornbläser suchen und ihn befragen.« Judith ließ den Motor
unseres Polizeiwagens an.
»Wozu?«
»Vielleicht hat er
noch etwas beobachtet?«
»Regina war schon
länger tot, als er sie gefunden hat.«
»Er war so seltsam.«
»Er war nicht
seltsam, er war geschockt.« Ich schlug mit der flachen Hand aufs Armaturenbrett,
und Judith zuckte zusammen. »Es ist ja wohl normal, dass man geschockt ist,
wenn man auf eine Leiche fällt, oder?«
»Schrei mich doch
nicht so an, Ina. Ich wollte doch nur sichergehen, dass wir nichts übersehen
haben.«
»Du willst einen
Fall aus etwas machen, was gar kein Fall ist.«
Judith umklammerte
das Lenkrad. Ihre Fingerknöchel wurden weiß. »Nein. Das will ich nicht. Aber
wir hätten ihn nicht einfach so gehen lassen dürfen. Laut Vorschrift hätten wir
dafür Sorge tragen müssen, dass er keinen Kontakt zu anderen oder sogar zur
Presse hat. Wir hätten ihn so lange nicht gehen lassen dürfen, bis die Spusi
fertig war.«
»Es ist nicht alles
wie im Lehrbuch. Man kann die Menschen nicht immer nach Vorschriften
behandeln.«
»Das meine ich auch
nicht, aber …«
»Was meinst du denn,
Mädchen? Meinst du, alles läuft immer nach Plan? Der Böse macht etwas, und der
Gute kommt und fängt ihn, tralala, jupidei, und alles ist wieder gut?« Ich
spürte, wie sich mein Magen verkrampfte und mir der Schweiß ausbrach. »Das Leben
ist nicht so. Erst recht nicht das Leben als Polizist. Der Tod ist hässlich und
ekelhaft, und wir begegnen ihm öfter, als uns lieb ist.«
Ich starrte durch
die Windschutzscheibe auf die Straße, überrascht und überwältigt von meinem
Ausbruch. Judith fuhr schweigend weiter, die Miene wie in Eis gegossen. Der
Wagen wurde immer schneller. Zu schnell für die erlaubten siebzig
Stundenkilometer. Erst die Ampel in Olef bremste sie. Ihre Kiefer mahlten. Sie
hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und biss sich auf die
Unterlippe. Und sie schwieg beharrlich.
Ich senkte den Kopf.
Was für eine Meisterleistung hatte ich da wieder vollbracht? Judith war mir
zugeteilt, damit ich sie ausbildete, nicht, damit ich sie fertigmachte und ihr
meine eigenen Probleme vor den Kopf knallte.
»Judith«, begann ich
meine Entschuldigung in, wie ich hoffte, ruhigem und freundlichem Ton, kam aber
nicht weit. Das Funkgerät knackte, und Judith öffnete den Kanal.
»Ja?«
Gegen meinen Willen
musste ich grinsen. Die demonstrative Gelassenheit ließ sich nicht durchhalten.
Sonst hätte sie sich nicht einfach nur mit »Ja« gemeldet, sondern die in den
Dienstvorschriften aufgeführten Kommunikationsregeln beachtet. Name,
Wagenbesetzung, Stand- und Zielort.
»Wo seid ihr?«,
knarzte es aus dem Lautsprecher.
»Auf dem Weg nach
Gemünd zur Modellregatta. In vier Minuten sind wir da.«
»Gut. Es gibt
Probleme dort. Wir schicken weitere Verstärkung.«
***
Bei diesem
Wetter würde es noch eine Ewigkeit dauern, bis die Sachen trocken wären. Kai
Rokke war zum Wohnmobilhafen zurückgefahren, hatte den Wäscheständer aus dem
Seitenfach des Wohnmobils gezogen und nach fünf Minuten wieder eingepackt. Der
Regen verfolgt mich, dachte er, zog die Hand wieder ins Innere seines
Wohnmobils und schloss die Tür.
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