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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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Und
als deine Freundin.«
    »Dann lass mich
jetzt bitte hier reden.«
    »Du machst dich
lächerlich.«
    Andrea presste die
Lippen aufeinander. Ich erkannte eine Entschlossenheit in ihrem Gesicht, die
ich ihr so nicht zugetraut hatte.
    Die knappe Meldung
im Lokalteil der Zeitung hatte gestern für ziemliche Unruhe im Ort gesorgt.
»Baugenehmigung erteilt. Historisches Hotel Lorbachtal wird zum neuen
Schmuckstück des Nationalparks«, lautete die Überschrift. Für die meisten
Gemünder bedeutete diese Nachricht nicht mehr als neuen Gesprächsstoff für die
nächsten Tage, einige jedoch reagierten heftiger und wollten dagegen angehen.
Meine Freundin Andrea war gestern Morgen in einem Maße außer sich gewesen, dass
ich mich ernsthaft über sie gewundert hatte. Trotzdem hatte ich nicht damit
gerechnet, sie an der Spitze der Protestbewegung zu finden, obwohl sie so etwas
angedeutet hatte.
    »Andrea!« Ich wusste
nicht so recht, ob ich es als Bitte, als Befehl oder als Frage meinte.
    Sie richtete sich
auf und hob das Mikrofon an die Lippen. »Engagierte Gemünder!« Andrea
verstummte wieder und blickte sich um. Ich hatte den Eindruck, als ob sie jeden
Einzelnen ansprechen und dazu bringen wollte, ihr zuzuhören.
    Für einen kurzen
Moment schien das Pfeifen und Johlen noch lauter zu werden, dann wurde es
ruhig. Ich konnte die erwartungsvolle Stille auf dem Platz spüren. Am Rand der
Menschenmenge drückte sich Judith entlang. Ihre Blicke flogen zwischen mir und
Andrea hin und her. »Kennst du sie?«, fragte sie, als sie sich bis zu mir
durchgekämpft hatte.
    »Ja.«
    Das musste genügen.
Wenn ich ihr sagen würde, dass Andrea Herbstmann über unsere alte und vor
Kurzem wieder erneuerte Freundschaft hinaus auch noch die Mutter meiner
Patentochter Henrike war und bei mir ein und aus ging, würde das die Sache nur
unnötig verkomplizieren.
    »Wir sind hier«,
Andreas Stimme füllte den Platz, »weil es uns allen nicht egal ist, was hier
geschieht. Oder«, fuhr sie leise fort, beugte sich vor und schaute dabei den
Demonstranten in der ersten Reihe direkt in die Augen, »oder ist es Ihnen etwa
egal?«
    Die Leute
schüttelten den Kopf.
    »Nein! Ihnen ist es
nicht egal! Sie kümmern sich um die Dinge, die vor Ihrer Haustür geschehen. Sie
kümmern sich um Ihre Heimat. Sie kümmern sich um das, was uns allen nutzt: die
Natur.«
    Andrea machte eine
Pause. Erster Beifall brandete auf.
    Sie nahm das
Mikrofon in die linke Hand, streckte die andere nach vorne in Richtung des
Publikums aus und neigte den Kopf. »Auch wenn die Eifel nach außen hin nicht
immer den fortschrittlichsten Eindruck macht – es zählt doch, was wir wirklich
denken, welche Werte wir in unserem tiefsten Inneren hochhalten.« Sie ballte
die Hand zur Faust, legte sie auf ihre Brust und schloss für einen Moment die
Augen. Als sie sie wieder öffnete, klang ihre Stimme warm und weich. »Meine
Großmutter hat mir oft vom Hotel Lorbachtal erzählt. Wie schön es war mit
seiner Anlegestelle und den gemütlichen Räumen. Aber«, Andrea straffte sich,
»diese Zeit ist vorbei. Das Hotel ist Geschichte und soll es auch bleiben.
Niemand kann die Vergangenheit zurückholen. In den Ruinen des Hotels leben
Mauereidechsen, die Natur hat die Anlegestellen zurückerobert. Und diese Natur
gilt es nun zu schützen!«
    Beifall. Ich sah
mich um. In den ersten Reihen standen nur vereinzelt Gemünder. Stattdessen sah
ich viele fremde Gesichter. Andrea hatte gestern davon gesprochen, »die Sache
publik« zu machen. Sie »übers Netz zu geben« und entsprechend viele Leute zu
mobilisieren.
    Meinen Einwand, die
Sache doch sprichwörtlich im Dorf zu lassen, hatte sie nicht gelten lassen.
»Dann erreichen wir nie etwas, Ina! Du siehst doch, wie es anderswo läuft.«
    »Aber Gemünd ist
nicht Stuttgart«, hatte ich darauf geantwortet. Angesichts des Menschenauflaufs
hier war ich mir aber nicht mehr so sicher. Was hatte die Frau auf der
Rednerkiste mit meiner sonst so vernünftigen und pragmatischen Freundin Andrea
noch gemeinsam? Ich schüttelte den Kopf und hörte weiter zu.
    »Über sechzig Jahre
lang hatten wir den Truppenübungsplatz direkt vor unserer Haustür und haben uns
damit arrangiert. Aber nun ist das Gelände zum Nationalpark geworden, der Natur
überlassen und ein starker Motor für unsere Tourismusindustrie. Das werden wir
uns nicht kaputt machen lassen.« Ihre geballte Faust öffnete sich wieder, und
sie zeigte dem Publikum ihre Handinnenfläche. Eine Kampfansage. »Auch

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