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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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wenn die
Befürworter der neuen Hotelanlage uns gerne glauben machen wollen, das alles
sei gut für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Stärkung der Region. Das
ist großer Unsinn! Uns allen ist wichtig, was mit der Region geschieht. Sichere
Arbeitsplätze. Eine starke Wirtschaft. Zufriedene Besucher.«
    »Ist die Sache
wirklich so schrecklich für die Natur?«, fragte Judith und ließ die Menge nicht
aus den Augen.
    »Mitten im
Nationalpark ein neues Hotel zu errichten, ist eigentlich ein Ding der
Unmöglichkeit. Normalerweise gibt es für so was gar keine Baugenehmigung.«
    »Und das heißt?«
    Ich zuckte mit den
Schultern. »Das heißt, dass es nicht allen recht ist, was hier läuft.«
    »Und deiner
Bekannten schon mal gar nicht.«
    »Nein.« Ich sah
wieder zu Andrea, die wie ein Politprofi weiter auf die Menschen einredete.
    »Ich sehe in vielen
Gesichtern Wut, Entschlossenheit und Energie. Wut über die Arroganz, mit der
windige Geschäftemacher sich über geltendes Recht hinwegsetzen,
Entschlossenheit, sich als mündiger Bürger nicht alles gefallen zu lassen, und
die Energie, notfalls auch mit ungewöhnlichen Mitteln dagegen anzukämpfen.«
    Trillerpfeifen
schrillten. Am hinteren Ende des Platzes war eine gewisse Unruhe entstanden.
Ich erkannte dort zwei Kollegen. Sie reckten die Hälse und versuchten genau wie
Judith und ich, die Lage abzuschätzen, während Andrea vorne ihre Rede zu Ende
brachte.
    »Ihr kennt alle den
Satz: ›Der Eifler macht erst nach neun Tagen die Augen auf, aber dann sieht er
sehr genau hin.‹ Und ich sage euch: Uns sind die Augen aufgegangen! Wir sehen
sehr genau hin! Und wir werden jedem auf die Finger klopfen, der versucht, uns
zu hintergehen.«
    Schreie ertönten.
Die Köpfe der Kollegen tauchten in der Menge unter. Die Angelegenheit
eskalierte.
    »Ruf Verstärkung,
Judith!«
    »Wir werden für
unser Ziel kämpfen! Mit allen Mitteln, die wir haben! Wir lassen uns nichts
gefallen!« Andrea hatte die Unruhe noch nicht bemerkt – oder wollte sie nicht
bemerken.
    »Andrea, hör auf,
sie aufzuhetzen!« Ich stellte mich neben sie und fasste sie am Ärmel. »Ich muss
dich sonst festnehmen.«
    Sie ignorierte mich.
    »Jeder Einzelne von
euch ist wichtig.«
    Schräg hinter uns
klirrte eine Fensterscheibe.
    »Sag ihnen, dass sie
ruhig bleiben sollen.«
    »Unser Zusammenhalt
macht uns stark.«
    Aus den Augenwinkeln
heraus sah ich, wie Judith lossprintete und auf den jungen Mann zulief, der den
Stein geworfen haben musste und schon einen weiteren bereithielt. In einer
einzigen Bewegung wandte er sich zu Judith um, hob den Arm und wollte den Stein
auf sie schleudern, als er, von hinten gestoßen, zu Boden fiel. Der
Pflasterstein kullerte wie ein Ball über die Straße und blieb liegen.

DREI
    Es blutete immer noch. Sie lag auf dem Bauch, hatte den Kopf
auf die Hände gestützt und sah den anderen Kindern beim Schwimmen zu. Sie
konnte auf der großen weißen Uhr in der Nähe des Sprungturms nicht erkennen,
wie spät es war, weil die Sonne so tief über den Bäumen hing und sie blendete.
Ihr Magen knurrte, ihr war schlecht, und trotzdem schaffte sie es nicht, sich
aufzuraffen und zum Kiosk zu gehen, um sich von ihrem Taschengeld etwas zu
essen zu holen, eine Pommes oder ein Eis. Ins Wasser wollte sie auch nicht.
Wegen der Wunde und wegen dem Jungen. Ihre Hose und das T-Shirt lagen neben
ihrem Handtuch. Sie hatte sie in einer der Duschen ausgewaschen, so lange, bis
das Wasser nicht mehr bräunlich aus dem Stoff rann und der muffige Gestank
verschwunden war. Jetzt konnte sie sich einbilden, nie im Bach gewesen zu sein.
    Über
das Kreischen und Lachen der anderen Kinder hinweg meinte sie eine Sirene zu
hören. Sie richtete sich auf, lauschte. Nichts. Sie hatte den Jungen nicht mehr
gesehen, seit sie vor Stunden vom Wehr weggegangen waren. Er hatte eine
Schwimmtasche dabeigehabt, war mit seinem Fahrrad auf dem Weg hierher gewesen.
Aber er war nicht da. Eine Faust in ihrem Bauch ballte sich zusammen und schlug
wild um sich. Sie krümmte sich ein bisschen, aber es half nichts.
    Hans
stand auf dem Dreimeterbrett, Franz dicht hinter ihr. Hans zögerte kurz und
ging dann nach vorn, bis ihre Zehen über den Rand des Sprungturms ragten. Sie
selbst würde sich das nie trauen. Der Turm war hoch, und wenn man oben stand,
fühlten sich die drei Meter an wie fünf oder noch mehr. Sie hatte ihren Vater
gefragt, ob er einmal mit ihr üben könnte, vom Turm zu springen, weil sie sich
nicht vor ihren

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