Luftkurmord
Angelegenheit sagen.«
»Hast du das mit
Hansen abgeklärt?«
»Wenn er kommt, rede
ich mit ihm.« Ich beugte mich vor und legte ihr den Stapel Kopien auf den
Tisch. Als sie die Köpfe der obersten Blätter sah, schnalzte sie mit der Zunge.
»Nationalpark und
Stadtverwaltung«, murmelte sie und vertiefte sich in die Schriftstücke.
Ich wechselte den
Hörer vom rechten ans linke Ohr und wartete. Nach dem zwanzigsten Klingeln
meldete sich endlich eine professionell freundliche Warteschleifenstimme und
bat mich um einen Augenblick Geduld.
»Denkst du, die
haben etwas mit dem Verschwinden deiner Freundin zu tun?« Judith schob ihre
Tastatur ein Stück zur Seite und drehte ihren Bildschirm so, dass ich ihn sehen
konnte. Ich blinzelte und erkannte die Homepage der Aachener Firma, mit deren
Warteschleife ich gerade telefonierte. Ein großes Haus in moderner Architektur
füllte den Bildschirm fast vollständig aus.
Wieder knackte es im
Hörer. Die Musik wurde unterbrochen, ein Freizeichen ertönte, dann meldetet
sich eine Frauenstimme: »Service Building Management Dilsen, mein Name ist
Mareike Haachting. Was kann ich für Sie tun?«
Ich schaltete den
Lautsprecher an, nickte Judith zu und stellte mich vor.
»Und womit kann ich
Ihnen weiterhelfen?«
Ich fragte nach dem
für den Bau des historischen Hotels »Lorbachtal« zuständigen Mitarbeiter.
»Sind Sie von der
Presse?« Die Freundlichkeit machte einem hörbaren Misstrauen Platz.
»Nein. Wie ich
bereits sagte …«
»Wir geben keinerlei
Auskünfte. Bitte rufen Sie nicht mehr an«, unterbrach sie mich und legte auf.
»Das war deutlich.«
Judiths Augenbrauen schoben sich zu einem geraden Strich zusammen.
»Die Schreiben zur
Baugenehmigung an diese Firma trugen Regina Brinkes Unterschrift. Regina lebt
nicht mehr. Kopien dieser Schreiben steckten in Andrea Herbstmanns Briefkasten.
Andrea ist seit gestern verschwunden. Was wäre deine Schlussfolgerung?«, fragte
ich und stand auf.
»Es liegt die
Vermutung nahe, dass es einen Zusammenhang gibt«, antwortete Judith und schaute
mich erwartungsvoll an.
»Genau, und den will
ich herausfinden.«
»Denkst du immer
noch, Regina Brinke hat Selbstmord begangen?«
Ich schüttelte den
Kopf.
»Aber solange es
keine Beweise für das Gegenteil gibt, wird Hansen nicht die Mordkommission
einschalten.«
»Richtig.« Ich nahm
mir einen Kugelschreiber, notierte die Adresse der Firma unter der
Telefonnummer und stand auf. »Deswegen werden wir beide jetzt nach Aachen
fahren und diesen Herrschaften mal persönlich auf den Zahn fühlen.«
»Ina, wir haben
keinen Ermittlungsauftrag in dieser Sache«, erwiderte Judith und zog ihren
Blusenkragen glatt.
»Wir ermitteln ja
auch nicht. Wir fahren Streife.«
»In Aachen?«
Ich stand auf, griff
nach meiner Uniformjacke, die ich über den Besucherstuhl geworfen hatte, und
klimperte mit den Wagenschlüsseln. »Du musst nicht mitkommen, Judith.«
»Und wenn er mich
fragt?«
»Wenn wer dich was
fragt?«
»Hansen. Wo du bist
und was du machst.«
Ich zuckte mit den
Schultern.
Judith kaute
nachdenklich auf ihrer Unterlippe und runzelte die Stirn. Ihre Hände glitten
über die Papiere vor ihr, schoben nach links, was rechts lag, und umgekehrt.
Sie atmete flach und schnell. Ich schwieg und wartete. Als sie mich schließlich
ansah und mir antwortete, klang ihre Stimme fest. »Ich muss jetzt zwischen Pest
und Cholera wählen. Entweder fahre ich mit dir, obwohl ich genau weiß, welche
Konsequenzen das für mich haben kann. Oder ich bleibe hier und muss für dich
lügen.«
»Du kannst Hansen
auch einfach die Wahrheit sagen.«
Judith zupfte ihren
linken Uniformärmel über die Blusenmanschette. Dann wiederholte sie das
Prozedere an ihrem anderen Ärmel, stand auf und korrigierte mit beiden Händen
den Sitz ihrer Jacke.
»Also gut. Lass uns
gehen. Aber vorher sollten wir den Bürgermeister bitten, uns einen Blick in
Regina Brinkes Akten werfen zu lassen.«
»Du lernst
wirklich schnell, Judith Bleuler«, gab ich zu, als wir auf den Parkplatz vor
der Stadtverwaltung in Schleiden einbogen. »Auf die Idee hätte ich auch selbst
kommen können. Wir werden aber nichts von den Kopien sagen, sondern uns nur
umschauen.«
Judith nickte, und
wir stiegen aus. Das Gebäude thronte auf dem Ruppenberg wie eine alte
Trutzburg. Über dem Sockel aus behauenem Naturstein erhob sich hell die
cremefarben verputzte Fassade, bei der jedoch an vielen Stellen
Renovierungsbedarf sichtbar war. Der Eingang zum
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