Luftkurmord
Rathaus versteckte sich im
rechten der drei Torbögen, die den äußeren Bereich vom Innenhof abtrennten. Ein
paar Stufen führten zur Eingangstür hinauf. Dahinter empfing uns der typische
Duft aller deutschen Amtsstuben. Es roch nach Papier und Bodenreiniger,
überlagert von einem Hauch Kaffeeduft und einem Parfüm, dessen Spur vermutlich
von einer Besucherin hinterlassen worden war. Wir fragten uns zum Bauamt durch.
Reginas Kollegen nickten uns bedrückt zu, als wir die Büroräume betraten.
»Dürfen wir uns Frau
Brinkes Schreibtisch näher anschauen?« Ich blickte mich suchend um.
»Selbstverständlich
dürfen Sie«, hörte ich hinter mir jemanden sagen und wandte mich um. Der Bürgermeister
stand im Türrahmen, der von seiner kräftigen Statur fast ausgefüllt wurde. Ich
kannte ihn aus anderen Situationen als einen fröhlichen und herzlichen
Menschen, aber jetzt zeigten seine Augen trotz der zahlreichen Lachfältchen die
Trauer um eine seiner Mitarbeiterinnen. Er kam auf Judith und mich zu und
schüttelte jeder von uns die Hand. »Was führt Sie zu uns? Gibt es noch
Unklarheiten?«, fragte er, und die Falten auf seiner Stirn vertieften sich.
»Ich kann nicht begreifen, warum sie das getan hat. Sie machte so einen
ausgeglichenen Eindruck auf mich.«
»Wir suchen nach
Hinweisen, die uns helfen, Regina Brinkes Tod besser zu verstehen«, erklärte
ich ihm ruhig. Er würde nicht begeistert sein, wenn er erfuhr, dass Reginas Tod
vielleicht mit ihrer Arbeit zu tun hatte. Er räusperte sich, und ich hatte den
Eindruck, als ob er noch etwas sagen wollte, sich aber zurückhielt. Stattdessen
nahm er an einem freien Schreibtisch Platz, zog sein Smartphone aus der
Jackentasche und begann, damit zu arbeiten.
Es dauerte nicht
lange, bis wir alle Papiere und die Dateien auf dem Computer durchgesehen
hatten.
Ich runzelte die
Stirn. »Hat jemand den Arbeitsplatz aufgeräumt?«, fragte ich in die Runde.
Alle Anwesenden
schüttelten den Kopf.
»Vermissen Sie
etwas?«, fragte der Bürgermeister.
»Regina Brinke hat
doch an dem Projekt zum historischen Hotel ›Lorbachtal‹ gearbeitet. Wo sind die
Unterlagen dazu?«
»Sind sie nicht
dabei?«
»Nein.«
»Vielleicht hat sie
die Akte bereits wieder abgelegt.«
»Wären Sie dann so
freundlich und würden uns die Akte holen lassen?« Judith klang höflich, aber
sehr bestimmt.
»Natürlich.« Er
machte eine kurze Pause und sah sich suchend um. »Frau Müller, wären Sie so
nett?«
Frau Müller nickte
und ließ uns allein. Wir warteten.
Der Bürgermeister
räusperte sich. »Zu der Baugenehmigung gibt es noch etwas zu sagen.«
»Ja?«
»Meine Mitarbeiter
haben mein volles Vertrauen in allen Belangen, und Frau Brinke hat in der Sache
keinesfalls ihre Kompetenzen überschritten, aber wir haben es uns zur
Gewohnheit gemacht, solche großen Projekte immer gemeinsam zu besprechen, bevor
eine Entscheidung gefällt wird.«
»Das heißt was?«
»Frau Brinke hat in
diesem Fall die Genehmigung erteilt, ohne mit mir Rücksprache zu halten. Es
geht gar nicht, dass ich erst aus der Zeitung über das Geschehen in meinem Amt
unterrichtet werde. Von den zahlreichen erbosten Anrufen, die wir über unser
Bürgertelefon entgegennehmen mussten, einmal ganz abgesehen.«
»Macht das die Sache
ungültig?«
»Erst einmal nicht.
Aber eine Absprache hätte die Sache deutlich erleichtert. Wir hätten mit der
Nationalparkverwaltung Kontakt aufnehmen und die Sache so schon im Vorfeld
anders kommunizieren können. Bei denen läuft das Telefon vermutlich auch heiß.«
»Können Sie sich
vorstellen, warum sie nicht mit Ihnen darüber gesprochen hat?«
»Nein.«
Frau Müller kehrte
mit leeren Händen zurück und schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Akte ist nicht
da. Es tut mir leid.«
»Die abgelegten
Vorgänge werden doch sicher auch in Ihrem System abgespeichert«, wandte ich
ein, bevor jemand etwas anderes sagen konnte. »Drucken Sie sie uns einfach aus.
Das genügt auch.«
»Lassen Sie mich das
machen. Dazu muss ich auf das Archiv zugreifen.« Der Bürgermeister setzte sich
an Reginas Computer, öffnete den Dateimanager und gab ein Passwort ein. Auf dem
Bildschirm erschien die Liste der durchlaufend gekennzeichneten Vorgänge, an
denen in der Stadtverwaltung gearbeitet worden war. »Gleich haben wir es.« Er
öffnete eine Datei nach der anderen. Ohne Ergebnis. »Seltsam«, murmelte er und
begann erneut am Anfang der Liste. »Ein Vorgang fehlt.«
Er zeigte auf die
Aktenzeichen.
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