Luftkurmord
»Hier …«, er räusperte sich, »wurde, wie es aussieht, ein Vorgang
gelöscht.«
***
»Die Kopien sind
jetzt die einzigen Belege, die wir haben. Können wir sie überhaupt als
Beweismittel gebrauchen?« Judith schaute mich skeptisch an.
»In einem Mordfall
sicher nicht.« Ich bremste vor dem Bahnübergang ab und rollte langsam über die
Schienen. Nach einer weiteren halben Stunde erfolglosen Suchens hatten wir die
Sache abgebrochen. Der Bürgermeister hatte uns zugesichert, sich sofort bei uns
zu melden, wenn er etwas finden würde. »Aber wir haben bisher keinen Mordfall.«
»Das Fehlen der Akte
und die gelöschte Computerdatei reichen nicht aus?« Judith runzelte die Stirn.
»Das kann Regina
alles selbst gemacht haben. Für sie wäre es ein Leichtes gewesen, an ihrem
Arbeitsplatz alles zu löschen und die Akte verschwinden zu lassen. Das spräche
nicht gegen die Selbstmordtheorie.«
»Wo, glaubst du,
kommen die Kopien her?«
»Von Regina selbst?«
»Wozu?«, fragte
Judith und strich ihren Blusenkragen glatt. »Wieso sollte sie sie erst
kopieren, um sie dann zu vernichten?«
»Um etwas in der
Hand zu haben vielleicht.«
»Gegen wen?«
»Möglicherweise
wurde sie nicht bestochen, um den Bauantrag zu genehmigen, sondern erpresst.
Und die Kopien dienten zu ihrem Schutz«, dachte ich laut.
»Du kanntest sie
doch. Wer könnte sie erpressen?«
»Die Frage wäre
vielmehr, womit man sie erpressen könnte.« Ich trommelte mit den Fingern auf
das Lenkrad, während ich darauf wartete, dass sich ein Lkw mit Anhänger in
gesamter Länge durch den Kreisverkehr vor mir schlängelte. »Regina führte ein …« Ich suchte nach einem anderen Wort als »langweilig«, weil sie selbst es
sicher nicht so empfunden hatte. »Sie führte ein unaufgeregtes Leben.«
»Meinst du, er hat
damit etwas zu tun?« Judith wies hinter sich in Richtung Rathaus. »Traust du
dem Bürgermeister?«
»Er schien ehrlich
betroffen zu sein. Sowohl über Reginas Tod als auch über die fehlenden
Unterlagen.« Ich ordnete mich endlich in den Kreisverkehr ein und lenkte den
Wagen in Richtung Aachen.
»Das ergibt doch
alles keinen Sinn.« Judith setzte sich aufrecht hin, hob die Arme und stemmte
sich mit den Händen gegen das Autodach. Dann fiel sie mit einem Seufzen in den
Sitz zurück und ließ den Kopf kreisen. »Vielleicht hat sie sich wirklich selbst
umgebracht, und wir jagen nur einer fixen Idee hinterher.«
»Ja.« Ich biss mir
auf die Lippen. »Vielleicht.« Ich sah sie an. »Vielleicht aber auch nicht. Und
dann ist die Frage, was besser wäre, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen,
einem Phantom hinterherzujagen, oder das Risiko einzugehen, einen Mörder
entkommen zu lassen?«
Judith nickte. Eine
Zeit lang fuhren wir schweigend, während die Landschaft an uns vorüberglitt.
»Warum bist du
wieder zur Trachtengruppe gewechselt?«, fragte mich Judith eine halbe Stunde
später, und ich ahnte, worauf sie hinauswollte. Vor uns lag die »Himmelsleiter«
genannte Bundesstraße wie eine Sprungschanze. Wir hatten den kürzeren, aber
langsameren Weg gewählt. Er führte über Morsbach, die Serpentinen in Einruhr
hoch und schließlich an der belgischen Grenze entlang über Roetgen nach Aachen.
»Es war das, was ich
hier machen konnte, nachdem ich aus Köln weggegangen bin.«
»Vermisst du die
Arbeit in der Mordkommission denn nicht?« Judith beugte sich vor, um den
Stadtplan aus dem Handschuhfach zu nehmen. Navigationsgeräte gab es in den
Dienstwagen nicht, was eigentlich auch kein Problem darstellte, weil sich alle
Kollegen in unserem Bereich bestens auskannten. Aachen allerdings war meine
persönliche Terra incognita, und ich schaffte es immer wieder, mich zu
verfahren.
»Nein. Ich vermisse
sie nicht«, antwortete ich mit einem Seitenblick auf die Karte.
»Und warum machst du
das hier dann?« Judith tippte auf den Stadtplan. »Du ermittelst, als ob du noch
in einer Sonderkommission wärst.«
»Tue ich das?« Ich
bemühte mich um einen süffisanten Ton, aber sie ging nicht darauf ein.
»Ja.«
»Wo muss ich
langfahren?«, lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.
Judith zog eine
Augenbraue hoch und schlug die Karte auf. Sie durchschaute mein Manöver
offenbar, hakte aber nicht weiter nach. Für den Moment nicht.
Die Firma hatte sich
im Stadtteil Burtscheid, in der Nähe des Heißberger Friedhofs angesiedelt. Etwa
zwanzig Minuten vor unserem Ziel steuerte ich einen abgelegenen Parkplatz an
und fischte die Tüte mit meinen
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