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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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hatten mir
durchwachte Nächte nichts ausgemacht. Weder eine Party noch eine Nachtschicht
hatte mich schaffen können.
    Wann war das anders
geworden? Ich wusste es nicht. Es hatte eine Zeit gegeben, und die war noch gar
nicht so lange her, da hatte ich mich auf Festen nur zwischen entweder lange
aufbleiben oder Alkohol trinken entscheiden müssen. Jetzt setzte mir das lange
Aufbleiben schon ohne einen einzigen Tropfen Alkohol heftig zu. Ich legte die
Stirn auf meine Handrücken und schloss die Augen. Ein lautes Hupen hinter mir
ließ mich hochfahren. Nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel hob ich die
Hand zur Entschuldigung, legte dann den Gang ein und fuhr los. Vorbei am
Finanzamt und der Schützenfestwiese, hinter der ich nach ein paar Metern
anhielt, wendete und den Käfer vor Steffens Wohnung parkte.
    »Hallo?«, rief
ich in die Wohnung, noch bevor ich das Rauschen des Wassers aus dem Badezimmer
hörte. Steffen stand unter der Dusche. Ich ging ins Schlafzimmer, schälte mich
aus den Jeans und dem T-Shirt und suchte nach meiner Uniform, bis mir einfiel,
dass ich sie gestern ins Badezimmer gehängt hatte. Ich seufzte, setzte mich
aufs Bett und starrte aus dem Fenster. Die kleine Birke in Steffens
Balkonkasten war seit dem letzten Sommer gewachsen. Ihre Blätter wehten wie
kleine hellgrüne Fahnen hin und her. Ich wunderte mich immer wieder, wie der
Baum es schaffte, trotz absolut mangelnder Aufmerksamkeit und Pflege zu
überleben. Die Skelette der Sommerblumen des vergangenen Jahres stachen neben
ihm in die Luft. Ich hatte vorgehabt, die Kästen mit neuer Erde zu versehen und
neu zu bepflanzen, war aber bisher noch nicht dazu gekommen. Hatte Steffen
recht, wenn er sagte, ich könne mich nicht entscheiden? Seine Andeutungen waren
eindeutig gewesen. Er wollte, dass wir zusammenzogen. Er vertraute mir. Er war
da, wenn ich ihn brauchte. Musste ich nur über meinen Schatten springen und es
zulassen? Mich einlassen?
    »Warum, zum Teufel,
hast du mir diese Mail verschwiegen?«, murmelte ich leise und stand auf. Ich
spürte, wie der Ärger wieder in mir hochkroch und sich in meinen Gedanken
festbiss.
    »Wieso bist du
hier?« Steffen stand mit nassen Haaren in der Tür, ein Handtuch um die Hüften
gebunden. Er schien überrascht, mich hier anzutreffen.
    »Ich muss mich noch
umziehen, bevor ich zum Dienst fahre«, sagte ich und schob mich an ihm vorbei.
»Die Uniform hängt im Badezimmer.«
    Steffen folgte mir.
Ich hörte seine nackten Füße auf dem Parkettboden.
    »Ina, ich …«, sagte
er und verstummte. Ich wandte mich zu ihm um und stieß dabei den Hocker neben
der Dusche an. Er wackelte und schlug mit einem leisen Klacken auf die Fliesen.
    »Was?«
    Er sah mich an. Ich
stand da in Unterwäsche und ertrug seinen Blick, obwohl ich mich nackt fühlte.
    »Ich hasse es, mich
mit dir zu streiten.«
    Ich nickte. Dann
schluckte ich. Ich musste es nur zulassen.
    »Denkst du wirklich,
ich wollte dich bevormunden?«
    Statt einer Antwort
ging ich zu ihm und stellte mich dicht vor ihn. Mit beiden Händen fasste ich in
sein Haar und zog sein Gesicht zu mir heran. Immer noch rührte er sich nicht,
und ich konnte die Anspannung und die Wut in ihm spüren. Er atmete verhalten.
Wartete ab, was geschehen würde. Ich küsste ihn. Teilte meine Wut mit ihm, bis
er mir antwortete, mir entgegenkam, auf mich und mein Tun reagierte. Seine Haut
war feucht vom Duschwasser, und der Geruch des Waschgels stand wie Nebel im
Raum. Steffen löste sich von mir, trat einen Schritt zurück. Er stellte den
Hocker wieder auf, setzte sich und streckte mir die Hand entgegen. Wieder stand
ich vor ihm. So dicht, dass sein Atem wie ein Luftzug über meine Haut floss.
Ich legte den Kopf in den Nacken und folgte seiner Einladung. Es zulassen.
Hände, Münder, Schenkel. Über allem das Tageslicht und eine morgendliche
Stille, die jeden Laut, jedes Geräusch für sich stehen ließ.
    Trotzdem war es, als
ob wir seit Jahren verheiratet waren. Eine Vertrautheit, die mich gleichzeitig
anzog und abschreckte. Ich ahnte, welche seiner Berührungen als Nächstes folgen
würde, und als sie dann kam, genoss ich sie bis zu dem Punkt, an dem mein
Denken wieder einsetzte und mich von meinem Körper wegtrug, mich von all dem
entfernte, in einem Maß, dass ich Steffen Unrecht antat, ihm etwas vormachte.
Mir etwas vormachte, wenn ich dachte, ich könnte es einfach so geschehen
lassen.

SECHS
    »Hallo!«
    Erich
schreckte von ihrem Bett hoch. Die Musik aus dem Kassettenrekorder

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