Luftkurmord
Terminkalender, der vor ihr auf dem
Schreibtisch lag und fuhr suchend mit dem Finger über die Einträge. »Hatten Sie
einen Termin?« Ihre Stimme klang wie Eis.
»Nein, wir …«,
setzte ich an, kam aber nicht weit. Sie blickte mit hochgezogenen Augenbrauen
von dem Terminkalender auf.
»Dann kann ich Ihnen
leider nicht helfen. Herr Vorhaus empfängt keine unangemeldeten Besucher.«
Ich stutzte. »Ist
Herr Vorhaus denn im Haus?«, fragte ich und gab mir Mühe, mir meine
Überraschung nicht anmerken zu lassen.
Keine Regung auf der
anderen Seite der Schreibtischfestung.
So schnell wollte
ich nicht aufgeben.
»Können wir dann
bitte einen Termin mit ihm machen?«
»Gerne.« Wieder
dieses Eislächeln. »Wenn Sie mir sagen, in welcher Angelegenheit.«
»Es geht um das
Hotel ›Lorbachtal‹ in Gemünd.«
Sie nickte. So weit
waren wir schon einmal gewesen, aber das schien ihr nicht zu genügen.
»Wir möchten gern
einige Einzelheiten mit Herrn Vorhaus besprechen.«
»Am besten ist es
wohl, Sie lassen mir Ihre Visitenkarte da, und ich teile Herrn Vorhaus mit, dass
Sie mit ihm sprechen wollen. Er wird sich dann bei Interesse bei Ihnen melden.«
Ich nickte, öffnete
meine Handtasche und nahm eine kleine schwarze Ledermappe heraus, von der ich
annahm, sie sähe noch am ehesten so aus, als ob ich meine Visitenkarten darin
aufbewahren würde. Dann verharrte ich, schüttelte leicht den Kopf und steckte
die Mappe wieder ein. »Ich rufe lieber selbst noch einmal zu einem späteren
Zeitpunkt an«, erwiderte ich und schloss meine Handtasche.
Die Eiskönigin kam
hinter ihrem Tresen hervor, ging an uns vorbei und öffnete die Tür. »Vielen
Dank für Ihren Besuch.«
Sie blieb stehen,
bis wir die wenigen Stufen bis zum Erdgeschoss hinuntergegangen und auf die
Straße getreten waren.
»Was war das denn?«
Judith drehte sich um und starrte auf das Holz der Tür.
»Ein gut
abgerichteter Wachhund, auch Chefsekretärin genannt.« Ich musste grinsen.
»Vermutlich hätte sie sich uns in den Weg geworfen, wenn wir eigenmächtig
versucht hätten, eines der Büros zu betreten.«
»Und was machen wir
jetzt?«
Ich überlegte kurz
und sagte: »Anrufen.«
Judith zog eine
Augenbraue hoch.
»Nimm dein Handy,
ruf sie an und bitte darum, Michael Vorhaus in einer privaten Angelegenheit zu
sprechen«, erklärte ich ihr, während wir uns vom Haus entfernten. »Mal sehen,
ob ich recht habe mit meiner Vermutung«, murmelte ich und lächelte ihr
aufmunternd zu. »Du hast die ganze Zeit geschwiegen. Die Sekretärin kennt deine
Stimme nicht. Hast du die Nummer noch?«
Judith nickte, zog
ein Post-it aus der Tasche und wählte. Brav sagte sie ihr Sprüchlein auf und
lauschte.
»Dann habe ich mich
wohl geirrt. Entschuldigen Sie bitte.« Sie beendete das Gespräch und sah mich
an. »Was sollte das jetzt?«
»Was hat sie
gesagt?«
»Es gibt dort keinen
Michael Vorhaus, nur einen …«
»… Frank
Vorhaus«, fiel ich ihr ins Wort. Ich wusste zwar nicht, was diese Erkenntnis
bedeutete oder wohin sie uns führen würde, aber sie verursachte ein flaues
Gefühl in meinem Magen. »Und wenn nicht mehrere Herren dieses Namens bei der
Service Building Management Dilsen arbeiten, ist dieser Frank Vorhaus zuständig
für das Projekt ›Lorbachtal‹.«
Wir hatten unseren
Parkplatz erreicht. Judith schaute mich immer noch verständnislos an.
»Frank Vorhaus ist
Gemünder. Und«, ich schloss den Wagen auf und setzte mich auf den Fahrersitz,
»Frank Vorhaus ist Andrea Herbstmanns Schwager.«
***
Warum mussten
sie die Eifel nur mit diesen Windrädern zuknallen?, dachte Kai Rokke, während
er sein Wohnmobil auf die A1 lenkte und die kräftigen Rotorblätter beobachtete.
Aber immer noch besser, sie stellen sie in die Nähe von sowieso hässlichen
Autobahnen oder Industrieparks, als einfach irgendwo in die Landschaft. Er
richtete den Blick wieder auf die Straße. Was ging es ihn an. Er war ja kein
Eifler. Er war nur auf der Durchreise. Oder auf der Flucht. Ganz wie man es
nennen wollte. Nicht dass er wirklich hätte flüchten müssen. Nein. Seine Strafe
war zur Bewährung ausgesetzt worden. Er hatte sich zu den geforderten Zeiten an
den geforderten Orten gemeldet und war den Rest der Zeit unterwegs gewesen.
Die Flucht war eher
eine vor sich selbst. Er hatte nicht nur gehandelt mit den Amphetaminen. Er
hatte sie auch selbst genommen. Jede einzelne Muskelfaser hatte er mit der
gleichen Sorgfalt gehütet und gepflegt, mit der er heute seine
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