Luftkurmord
wartete immer noch auf den
zuständigen Beamten. Er hätte gerne eine Zigarette geraucht, aber Rauchen war
im Gebäude selbstverständlich nicht gestattet. Und ginge er dazu nach draußen
auf den Hof, würde er Gefahr laufen, den Beamten zu verpassen, der ihm »Lydia«
wiedergeben sollte.
Er setzte sich auf
einen der Stühle, lehnte sich zurück, stand wieder auf. Ging bis zur Treppe,
drehte sich auf dem Absatz um und durchmaß den Raum zurück mit großen
Schritten. Er nahm seinen Tabaksbeutel aus dem Mantel, drehte eine Zigarette, roch
daran und fühlte sich schlecht bei dem Gedanken, Judith Bleuler nie wieder zu
sehen. Genauso schlecht fühlte er sich bei dem Gedanken, sie doch wiederzusehen
und erneut von ihr in die Wüste geschickt zu werden. Ja. Das war der richtige
Ausdruck. In die Wüste geschickt zu werden. Er hatte Hunger, und sie ließ ihn
darben.
»Herr Hornbläser?«
Eine junge Polizistin hatte ihn angesprochen. Er hatte sie nicht bemerkt, bis
sie direkt vor ihm stand. »Kommen Sie bitte mit. Sie müssen noch etwas
unterschreiben, dann können Sie Ihr Boot wieder mitnehmen.«
Er nickte und folgte
ihr durch die Gänge bis zu einem kleinen Büro. Auf einem der beiden
Schreibtische lag die »Lydia«. Er musste sich beherrschen, sie nicht sofort auf
Kratzer und Beschädigungen zu untersuchen. Er ballte die Fäuste in den Taschen
und wartete.
»Ich muss nur noch
eben Ihre Daten in den Computer …«, murmelte die Polizistin, hackte auf ihre
Tastatur ein und stockte dann. »Einen Moment bitte.« Sie lächelte knapp, ging
in den Nebenraum und zog die Tür hinter sich zu. Er hörte sie sprechen.
Vermutlich telefonierte sie. Auf einen Wortschwall folgte Stille, dann wieder
ein Wortschwall.
Kai Rokke ging um
den Schreibtisch herum zur »Lydia« und seufzte. Er konnte sich denken, was sie
entdeckt hatte, als sie eben seinen Namen eingegeben hatte, und fragte sich, ob
nun wieder diese alte Geschichte aufs Tablett käme. Ob Judith enttäuscht sein
würde? Vielleicht wusste sie es ja schon und hatte nur nichts gesagt?
Vielleicht war es ihr egal? Er strich mit dem Finger über die Masten des
Schiffes. Alle Tampen waren entfernt worden, genau wie die Segel. Nackt und
kahl lag das Schiff auf dem blanken Holz der Schreibtischplatte, gekentert. Es
würde viel Zeit und Mühe kosten, alles wieder so herzurichten, wie es vorher
war.
»Herr Hornbläser?«
Wieder hatte sie ihn in Gedanken versunken erwischt, und er kam sich ertappt
vor.
»Ja.« Er räusperte
sich. »Ja?«
Die Polizistin sah
ihn jetzt anders an als noch vor ein paar Minuten. Misstrauischer. Aber als sie
sprach, klang ihre Stimme sachlich und ruhig. »Ich habe gerade abschließend mit
den Kollegen in Schleiden telefoniert. Es ist alles in Ordnung. Sie können Ihr
Schiff mitnehmen.«
»Danke.« Er wartete
darauf, dass sie weiterreden würde, aber sie reichte ihm lediglich ein Blatt
Papier und einen Kugelschreiber.
»Wenn Sie hier bitte
den Empfang quittieren würden.«
Er unterschrieb, hob
die »Lydia« behutsam auf und suchte sich seinen Weg durch die Gänge nach
draußen.
Ein Liebhaber mit
Vorstrafenregister passt hundertprozentig nicht auf Dauer in das Weltbild einer
Frau wie Judith Bleuler, dachte er, als er wieder hinter dem Steuer saß, und
ignorierte das Grummeln in seinem Magen.
***
Das Gebäude in
der Kapellenstraße hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Stahlbetonpalast, den
die Firma auf ihrer Homepage präsentierte. Statt moderner Architektur fanden
wir einen renovierten, mehrstöckigen Altbau vor, an dessen Fassade nur ein
kleines, bronzefarbenes Schild auf den Sitz der Firma hinwies. Die Haustür war
nicht verschlossen, und nach wenigen Schritten die Treppe hinauf standen wir
vor einer weiteren Tür. Judith klingelte. Es dauerte einige Sekunden, dann
brummte ein Türöffner. Gediegenes Beige, Stuck und ein moderner Kronleuchter
aus blitzendem Metall empfingen uns. Hinter einem hohen Tresen aus Edelholz saß
eine Frau, die bei unserem Eintreten den Kopf hob und uns mit professionellem
Lächeln begrüßte.
Ich lächelte ebenso
unverbindlich zurück. »Frau Haachting?«, spekulierte ich und schien ins
Schwarze getroffen zu haben. Sie stand auf und musterte mich von oben bis
unten. »Weinz mein Name, das ist meine Assistentin Frau Bleuler. Wir sind in
der Angelegenheit Hotel ›Lorbachtal‹ hier.«
Die Empfangsdame
zuckte kurz mit den Schultern und spitzte die Lippen. Dann hatte sie ihre Mimik
wieder unter Kontrolle, blätterte in einem
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