Lukas und die gestohlene Weihnacht
Wollen Sie sich einem kaiserlichen Gesandten widersetzen? Glauben Sie mir, Sie sitzen schneller hinter Gittern als sie blinzeln können, Mohr!“
Mohr sah erschrocken zu den Kindern. Dann sagte er:
„Also gut. Ich gebe auf.“
„Nein, nein, Herr Mohr, bitte nicht. Der dunkle Mann gehört nicht zum Kaiser, er lügt.“
„Lasst nur Kinder, es hat doch keinen Zweck. Ich hole eben den Text aus meiner Schublade am Schreibtisch.“
Rebekka und Lukas verstanden. Den Text hatte Lukas in seiner Hosentasche. Mohr wollte dem Pfarrer einen anderen, unbedeutenden Text geben.
„Hier ist er.“
„Aha“, sagte der Pfarrer und las die Überschrift des Gedichts. „Frühlingserwachen, na ja, dann danke Herr Mohr. Sind ja doch zu was nütze. Nicht nur immer den Armen unsere teuer ersparten Groschen spenden, endlich tun Sie auch mal etwas für den Erhalt unserer Kirche! Sie mit ihrem Wohltätigkeitsquatsch! Begreifen sie endlich, was es heißt, einer Kirchengemeinde vorzustehen. Sie wollen doch bestimmt, dass Ihr Zeugnis ordentlich ausfällt, nicht wahr? Und jetzt servus, Herr Mohr! Habe die Ehre!“
Der Pfarrer verließ das Haus. Sie wussten, es würde nicht lange dauern, bis der Trick auffliegen würde.
„Die reichen Leute im Ort wollen Euch ausliefern. Und wahrscheinlich mich gleich mit. Ihnen geht es nur ums Geld“, erklärte Mohr.
„Ich dachte, früher war das anders und nur in unserer Zeit sind alle so egoistisch und raffgierig“, meinte Rebekka.
„Nein. Ich kenne Eure Zeit zwar nicht. Aber ich kenne die Menschen. Geld verdirbt bei vielen den Charakter. Das Gute muss immer hart erarbeitet werden. Man muss es hüten und pflegen wie eine zerbrechliche kleine Pflanze. Das war schon immer so.“
„Also waren die Menschen und bleiben die Menschen immer mies“, sagte Rebekka.
„Nein .“, antwortete Mohr, „So dürft Ihr nicht denken. Menschen sind zu Gutem geschaffen. Man muss es nur in ihnen wecken. Sie lassen sich leicht verführen. Es ist einfach, dem Ruf des Geldes zu folgen. Es ist dagegen schwerer, auf sein Herz zu hören. Auch Mut gehört dazu und nicht jedem fällt es leicht, mutig zu sein und für das Gute einzustehen, besonders in schwierigen Zeiten. Da draußen stehen ein paar wenige Menschen, die sich vom Geld verleiten lassen. Schon seit Jahren sind ihre Seelen verdunkelt. Doch in den Häusern und Hütten des Ortes leben zehn Mal mehr Menschen, deren Herzen rein sind und für die es sich lohnt, alles zu riskieren. Wenn dieses Lied in Eurer Zeit so berühmt ist und es die Menschen dazu bringt, für einander da zu sein, dann lohnt es sich, dafür zu kämpfen, dass es die Jahre überdauert.“
Lukas und Rebekka sahen Hilfspfarrer Mohr an. Lukas sagte:
„Eigentlich muss das Lied erst einmal entstehen.“
„Richtig. Wie genau, das müssen wir sehen.“
Ein Stein flog durch ein Fenster. Jemand rief von draußen:
„Mohr, komm raus, jetzt wirst eingnaht!“
„Ihr müsst weg hier, ich lenke sie ab!“, sagte Mohr. Noch ehe Lukas und Rebekka wussten, wohin sie flüchten sollten, war Joseph Mohr aufgestanden und zur Tür hinausgegangen. Sie hörten ihn sprechen:
„Hier bin ich und ich we iche nicht von hier weg. Wollt Ihr die Kinder holen, dann müsst Ihr erst mich aus dem Weg räumen.“
Plötzlich flog eine brennende Fackel durchs Fenster. Dann gleich noch eine. Sofort begann es im Haus zu brennen. Erst der Schreibtisch mit den Papierbögen darauf. Dann die Stühle und die Kommode. Der Schrank und das Deckengebälk fingen genauso schnell Feuer. Alles im Haus war aus Holz und die Balken waren trocken und so fraßen sich die Flammen in Sekundenschnelle hindurch.
Rebekka und Lukas blieb nichts anderes übrig als aus dem Haus zu rennen. Joseph Mohr stand entschlossen zwischen den Leuten des Gemeinderats und den Kindern. Weiter die Straße entlang kamen noch mehr Menschen, die vom Tumult angezogen wurden.
„Das sind die Bürger von Oberndorf. Sie werden uns helfen, Kinder!“, sagte Mohr. „Es sind gute Menschen hier!“
Lukas sah ihn zuerst.
„Er steht zwischen ihnen, Bekki.“
„Ja, ich sehe ihn.“
Ihre Blicke trafen sich. Er löste sich aus der Menge und schritt auf sie zu. Seine hässliche Narbe war trotz schwachem Fackellicht deutlich aus 10 Metern Entfernung zu erkennen.
„Keinen Schritt weiter …“, sagte Mohr ruhig.
„Sonst?“, entgegnete der dunkle Mann und mit einem Ruck schleuderte er Mohr zu Boden. Joseph blieb reglos wenige Schritte vor seiner Haustür
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