Lukianenko Sergej
ja den König darstellen. Hallenberry wurde hinunter
in den Schankraum geschickt, wo er eine Tasse und einen
Teller stibitzte (er versicherte, beide seien leer gewesen,
leckte sich dabei aber die Lippen).
Erst dann fiel Trix auf, dass er nur eine vage Vorstellung hatte, wie Marcel aussah. Auf Münzen gab es Marcels Profil, aber das zeigte den König immer in jungen
Jahren, noch dazu, wie in der Numismatik üblich, recht
schmeichelhaft. Deshalb musste Trix zum Schloss gehen,
einen kolorierten Stich mit der Darstellung des Königs
kaufen und auch noch einmal den Gerüchtehändler anheuern, damit der ihm mitteilte, wo der Künstler von der
Wahrheit abwich. Im Grunde nur bei Kleinigkeiten: Vom
Bauch hatte er etwas weggenommen, bei der Größe etwas dazugegeben und Marcels beginnende Glatze durch
eine wallende Mähne ersetzt.
Nach etlichen Versuchen hatte Trix gegen Abend eine
Porzellanpuppe zustande gebracht, die dem König in der
Tat sehr ähnelte. Der Kopf der Puppe hatte ein paar Löcher für die königlichen Haare.
An der Kleidung für den König scheiterte Trix jedoch
völlig. Hosen, Hemd und Umhang misslangen ebenso
wie das Kleid für Tiana. Deshalb musste er in ein Geschäft laufen und Nadel, Faden und Schere kaufen, sodass Tiana mit Annettes Hilfe aus den Resten des magisch geschaffenen Kleides (auch als »Samtsack für Kartoffeln« bekannt) Sachen für die Marcel-Puppe machen
konnte.
»Als Kind habe ich meine Puppen immer gern angezogen«, sagte Tiana, die gekonnt Hosen für den König
nähte. »Alle Mädchen lernen das, damit sie Geschmack
und Fantasie entwickeln. Später kriegen sie das Tanzen
und die Kochkunst beigebracht. Und was lernt ein Junge?«
»Wir spielen mit Soldaten … also, wir haben damit
gespielt«, korrigierte sich Trix. »Damit erlernen wir die
Kunst der Kriegsführung. Und Tanzen lernen wir natürlich auch. Und Kartenspiele.«
»Wozu das denn?«
»Damit wir in hoher Gesellschaft angemessen auftreten.
Diejenigen, die niederen Standes sind, musst du besiegen.
Wenn jemand höheren Standes ist, musst du ihn gewinnen
lassen, und zwar so, dass er es nicht merkt. Aber mit
Gleichgestellten kannst du einfach drauflosspielen.«
Tiana schnitt den letzten Faden ab und zog der MarcelPuppe die Hosen an. Anschließend legte sie dem König
den Umhang über die Schultern. Sie war hochzufrieden
mit dem Ergebnis.
»Jetzt geht’s«, befand Trix.
Schweigend betrachteten sie die auf dem Tisch stehende Puppe. Marcel sah wirklich sehr lustig aus – und
sehr böse. (Übrigens: Je lustiger er war, desto böser war
er auch.)
»Jetzt schleiche ich mich bei Gris ein«, kündigte Trix
an. »Aber wie kommen wir zum König? Wenn er morgen
die Alchimisten empfängt und danach schon das Gericht
zusammentritt …«
»Wir müssen zusammen mit den Alchimisten zu ihm
gehen«, sagte Tiana. »Mach dir darüber keine Sorgen.
Darum kümmere ich mich.«
»Du?«, rief Trix.
»Du?«, fragte auch Annette.
»Klaro, sie!«, sagte Hallenberry fröhlich. »Du hast ja
wohl was anderes zu tun!«
»Ich biete ihnen ein Geheimnis des Fürstentums Dillon an«, erklärte Tiana beiläufig. »Das Geheimnis des
Feuerwerks Knisternde Wolke. Die können nämlich nur
unsere Alchimisten machen.«
»Und du glaubst, die Hauptstadtgilde ist darauf erpicht?«, fragte Trix zweifelnd.
»Ganz bestimmt! Bei uns in Dillon sitzen schon fünf
Spione der Hauptstadtalchimisten deswegen im Gefängnis.«
»Wenn du nur nicht selbst im Gildegefängnis landest,
weil du ihnen das Geheimnis verraten hast«, gab Trix
besorgt zu bedenken.
»Wie soll ich es ihnen denn verraten?«, fragte Tiana
erstaunt. »Als ob ich wüsste, wie die Alchimisten die Knisternde Wolke machen!«
»Aber …«, brachte Trix nur heraus.
»Ich werde es ihnen versprechen. Ich werde sagen,
dass ich und mein Freund, das heißt du, jeder die Hälfte
des Geheimnisses für dieses Feuerwerk haben. Und wir
werden es der hauptstädtischen Gilde überlassen, wenn
sie uns aufnehmen … und uns der Delegation zuteilen,
die bei König Marcel vorspricht. Als Zeichen ihrer seriösen Absichten.«
»Und wenn sie dahinterkommen, dass du sie getäuscht
hast?«, fragte Trix entsetzt. »Das sind Alchimisten! Die
sind noch schlimmer als … die werden dich nicht in Ruhe
lassen.«
»Wenn wir Marcel nicht überzeugen«, antwortete Tiana
gelassen, »werden wir noch ganz andere Probleme kriegen. Und wenn wir ihn überzeugen, werde ich aus Dankbarkeit unseren Alchimisten befehlen, das
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