Lukianenko Sergej
nuschelte: »Beiseite, edler Herr!«
Trix machte Platz und drehte sich um. Vor sich hatte
er eine ältere Frau mit einer birnenähnlichen Figur, die
mit einem Lappen das Parkett traktierte. Nachdem sie
den Dreck mehr oder weniger gleichmäßig verteilt hatte,
schob sie Trix den Lappen hin und verlangte: »Die Sohlen abgewischt, edler Herr!«
Marcel schielte zum Majordomus und fragte flüsternd:
»Kann man das nicht zu einer anderen Zeit machen?«
»Das ist so Tradition, Sire«, erklärte der Majordomus.
»Nach Abzug des einfachen Volks ist sofort der Boden
zu wischen.«
»Aber das ist doch absurd«, sagte Marcel. »Warum
muss ich mir diese … diese alte Schrecksch…«
Die Frau schielte finster zum König hinüber.
»… diese energische … Dame ansehen?«, brummte
der König. »Die obendrein ebenfalls aus dem einfachen
Volk ist!«
»Oh, nein, das ist die älteste Hofdame.«
»Absurd«, stieß der König aus.
Die älteste Hofdame wrang den Lappen über ihrem
Blecheimer aus und entfernte sich. »Kommt ja jenner
und henner«, knurrte sie.
»Oh nein, mein Herrscher, das ist nicht absurd«, sagte
der Majordomus. »Das ist schlimmer. Das ist Tradition.«
Marcel sah Trix an und sagte: »Hast du etwa geglaubt,
Jüngling, ein König habe es leicht?«
»Nein, Sire«, antwortete Trix.
Die Antwort brachte Trix einen wohlwollenden Blick
des Königs ein. »Mal ganz ehrlich!«, sagte er. »Hast du
die Vitamanten wirklich allein besiegt?«
»Verzeiht, Sire, aber darauf kann ich nicht ganz ehrlich antworten«, gestand Trix.
»Du gefällst mir«, sagte Marcel nach kurzem Schweigen. »Schade, dass ich dich zum Tod verurteilen muss.
Weißt du was«, gab der König einem Anflug von Inspiration nach, »ich werde dich nicht köpfen! Keine Angst!
Selbst wenn ich offiziell sage, ich köpfe dich, werde ich
dir insgeheim einen Empfehlungsbrief und etwas Geld
geben. Dann kannst du unter fremdem Namen bei einem
reichen Kaufmann unterkommen.«
In dem Moment glaubte Trix, er würde den Verstand
verlieren. Hatte er all das auf sich genommen, die Zauberei erlernt, sich in die Fürstin verliebt – nur um am Ende
wieder da zu landen, wo er unmittelbar nach dem Putsch
gestanden hatte?
Zum Glück betraten – genauer gesagt: stürmten – jetzt
zwei keuchende Menschen den Thronsaal. Auf einen
Wink Marcels bauten sich Sator und Derrick Gris neben
Trix und Tiana auf.
»Ihr habt befohlen, umgehend zu kommen, Sire.«
Sator Gris verbeugte sich tief. Da er dabei jedoch den
Kopf zurückbog und Trix anstarrte, verlor er das
Gleichgewicht und schlug in voller Länge auf dem Boden auf.
»Übertreibt nicht, Sator!« Marcel verzog das Gesicht.
»So braucht Ihr nicht vor mir zu katzbuckeln, das mag
ich nicht.«
»Sire! Das ist Trix Solier, Sire!«, rief Sator, während
er aufstand.
»Danke«, erwiderte der König, »damit habt Ihr seine
Identität bestätigt. Wir hatten noch Restzweifel.«
»Aber … er sollte doch verhaftet sein … in Ketten liegen … geknebelt! Sire, das ist ein gefährlicher Zauberer!«
»Willst du deinem König etwa sagen, was er zu tun
hat?«, fragte Marcel mit erhobener Stimme.
Darauf sagte Sator kein Wort. Derrick starrte Trix nur
wortlos an.
»Und jetzt rede, Trix Solier!«, befahl Marcel.
»Mein Herrscher!« Trix blickte dem König direkt in
die Augen. »Ja, ich habe der Fürstin Tiana bei der Flucht
geholfen. Aber ich habe das nur getan, weil ich von einem gemeinen Verrat und einer Verschwörung gegen
König und Krone erfahren habe!«
»Das wird ja immer besser!«, sagte Marcel. »Nun höre
ich schon zum zweiten Mal von Verrat, diesmal sogar
von dem Menschen, der selbst des Verrats angeklagt ist.
Weiter!«
»Eure Majestät!«, fuhr Trix fort. »Ich weiß, dass der
Co-Herzog Sator Gris geheime Verhandlungen mit den
Vitamanten geführt hat. Er hat seinen Mitherrscher Rett
Solier beseitigt, der Euch treu ergeben war. Nun soll die
Armee der Vitamanten am Westufer des Co-Herzogs
aufziehen. Das ist aber nur der erste Schritt, Ziel ist die
Eroberung des gesamten Königreichs. Gris hat Eure
Wachsamkeit mit dem Friedensvertrag abgelenkt. Außerdem sollte die unvorteilhafte Ehe von Evykait und
Tiana seinem Vorgehen einen legalen Anstrich geben.
Aber die Vitamanten wollen mit Gewalt alle Macht im
Königreich an sich reißen!«
»Das willst du wissen?«, rief Sator.
»Meine Wachsamkeit abgelenkt?«, brüllte Marcel.
»Unvorteilhaft?«, fragte Tiana beleidigt.
»Sicher«, antwortete Trix ihr leise.
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