Lukianenko Sergej
nicht dazu, Intrigen zu spinnen, um auf den Thron
zurückzukehren! Oder durch Geschäfte stinkreich zu
werden, seinen Feind an den Bettelstab zu bringen und
seinen einstigen Besitz zurückzukaufen! Kannst du ihn
dir als in Eisen gepackten Muskelprotz vorstellen, der
sich den Weg zum Thron mit dem Schwert bahnt? Als
Assassinen, der sich lautlos wie ein Schatten ins Schlafgemach von Sator Gris schleicht und den Usurpator mit
dem Nachttopf erschlägt? Nein, das passt alles nicht zu
ihm!«
»Aber du selbst hast ihm geraten, Ritter zu werden!«,
brauste Bambura auf.
»Das habe ich«, sagte Krakritur. »Denn ich habe mich
an den Jungen aus den Bergen erinnert, der sich rächen
wollte – und es nie getan hat. Und an seinen Freund, den
hochwohlgeborenen Baron Liander, dem man in seiner
Jugend den Thron geraubt hatte und der sich daraufhin
Schauspielern angeschlossen hat …«
Bambura setzte sich seufzend an den Tisch, nahm den
Becher mit dem Wein und nippte daran. »Ja und?«,
brummte er. »Viol ist ein guter Herrscher, viel besser, als
ich es je gewesen wäre. Sich mit sieben Jahren eine solche Intrige auszudenken! Den zehnjährigen Bruder für
die Schauspielkunst zu begeistern und ihm so den Kopf
zu verdrehen, dass er aus freien Stücken mit einer fahrenden Truppe davongeht. Dann noch dafür zu sorgen,
dass man die Kleidung des älteren Bruders findet und
drei Zeugen offiziell erklären, sie hätten gesehen, wie der
Thronfolger ertrunken ist! All das mit sieben Jahren! Der
Junge ist ein Naturtalent!«
»Sicher«, pflichtete Krakritur ihm bei. »Wahrscheinlich muss ein Herrscher so sein, schon in der Kindheit.
Aber dieser Junge, Trix, der wird keine Ruhe geben. Lassen wir es ihn versuchen.«
»Aber wie?«, hakte Bambura nach.
»Er hat nur eine Chance.« Krakritur grinste. »Wenn
ich nicht völlig den Verstand verloren habe … Aber davon habe ich Trix nichts gesagt. Und auch wir sollten das
Thema wechseln!«
Schweigend prosteten die beiden Freunde einander zu
und tranken den Wein.
Natürlich hätte jeder andere versucht herauszukriegen,
welche Möglichkeit Krakritur sah und warum er Trix
nichts davon gesagt hatte. Aber Bambura, der seit seinem
zehnten Lebensjahr mit der Schauspieltruppe herumzog,
glaubte fest in seinem Herzen an die Gesetze der Bühne.
Und das wichtigste dieser Gesetze lautete, nie vorzugreifen, um den Zuschauer ja nicht um das Vergnügen des
Schauspiels zu bringen.
Aus Respekt gegenüber dem in der Theaterwelt legendären Kapitän Bambura wollen deshalb auch wir auf eine
Erklärung verzichten – und sogar so tun, als wüssten wir
nicht, woran Krakritur dachte.
Trix verlief sich im Theater und fand sich im Zuschauerraum wieder. Auf den ersten Blick war klar, dass der
Raum ausschließlich für Theatervorstellungen genutzt
wurde: Die Bänke bestanden nicht schlicht aus groben
Brettern, die auf irgendwelche Böcke gelegt waren, sondern aus geschliffenem Holz, außerdem hatten sie Lehnen. In die Bretter waren Nummern eingebrannt, damit
jeder wusste, wo er saß – und das war ja nun wirklich
chic.
Es gab auch ein abgetrenntes Podest, auf dem weiche
Sessel standen, natürlich für die adligen Herrschaften, die
bereit waren, den doppelten Preis zu zahlen. Vor den
Sesseln waren sogar Tische aufgebaut, damit die Herrschaften während der Vorstellung ein heißes oder kühles
Getränk zu sich nehmen konnten.
Niedergeschlagen stapfte Trix zum Ausgang. Er
mochte Bambura und Krakritur. Wahrscheinlich hätte er
früher oder später auf der Bühne stehen dürfen und wäre
von allen akzeptiert worden. Aber Krakritur hatte recht:
Zu seiner Rache würde er auf diese Weise nicht kommen.
Dann hätte er auch gleich mit dem Empfehlungsbrief von
Thor Galan ins Geschäftsleben einsteigen können.
Die Tür war nicht abgeschlossen und Trix schlüpfte
ungehindert auf die Straße. Ein streng wirkender Wachposten in der Kleidung eines nördlichen Barbaren mit
einem Streithammer im Gehänge bedachte Trix mit einem mürrischen Blick. Trix hatte den Verdacht, dass der
Mann ein ebenso waschechter Barbar war wie Bambura
ein Piratenkapitän, verzichtete jedoch darauf, die Sache
zu überprüfen. Vor allem da es dafür nur eine zuverlässige Methode gegeben hätte: Er hätte dem Mann sagen
müssen, er habe weder Brüder noch Schwestern. Das galt
bei den Nordländern nämlich als die schlimmste Beleidigung. Ein echter Barbar hätte ihn daraufhin töten müssen.
Deshalb beschloss Trix, dass
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