Lukianenko Sergej
genutzt, das in den Fenstern funkelte, und
schwarzer Stein, mit dem einzelne Elemente der Statuen
herausgehoben wurden, die der Magier offenbar für besonders wichtig hielt.
Oben erweiterte sich der Elfenbeinturm zu einem
Wohngebäude, das so groß war wie eine prächtige, zweistöckige Villa. Auch dieser Teil war reich verziert, mit
Türmen und Wimpergen an den Ecken, einer durchbrochenen Brüstung am Dachrand und – warum auch immer –
Flügeln wie bei einer Windmühle.
Trix konnte sich gut vorstellen, dass auf dem Dach regelmäßig Transportdrachen landeten.
»Woher hat er so viel Elfenbein?«, fragte er überwältigt. »Dafür hätte er ja alle Elefanten der Welt erlegen
müssen!«
»Was woher ? Das hat er sich herbeigezaubert! Außerdem ist es nur außen Elfenbein, weil das besser aussieht,
innen ist der Turm aus Stein.«
»Und das geht? Unser Magier hat immer gesagt, die
herbeigezauberten Sachen hätten nicht die Stabilität der
echten und würden im Handumdrehen zu Staub zerfallen.«
»Dann hattet ihr einen miserablen Magier«, befand
Paclus. »Ein echter Zauberer kann Dinge herbeizaubern,
die sogar besser sind als die echten.«
»Wo soll ich auf Euch warten?«, fragte Trix.
»Siehst du diesen Hain dort?« Paclus streckte den eisengeschützten Arm aus. »In dem wirst du auf mich warten. Sauerampfer liebt die Natur, er wird die Bäume nicht
mit seinen Feuerbällen niederbrennen. Sieh dir nur die
Blumen um den Turm an! Der reinste Rosengarten!«
Nach Trix’ Dafürhalten lag der Hain viel zu dicht am
Turm. Der war ja höchstens eine Meile weg! Aber gut, es
war ein Unterschlupf! Und wenn der Magier die Natur
liebte …
»In Ordnung«, sagte Trix. »Das mache ich.«
Schweigend ritten sie bis zum Hain, wo sie haltmachten. Paclus spähte argwöhnisch zum Turm hinüber und
holte aus seiner Satteltasche das Amulett, einen recht
großen fünfzackigen Stern aus rubinrotem Stein, den er
geschickt am Helm anbrachte. Auf ein Nicken hin half
Trix ihm, den Helm an der Rüstung zu befestigen.
»Das ist ein altes und sehr starkes magisches Symbol«,
erklärte Paclus. »Es heißt, einst habe der Stern ein ganzes
Volk beschützt. Stärker als er ist vielleicht nur noch der
gelbe sechszackige Stern, aber für den braucht man die
Erlaubnis vom Magierkapitel.«
»Und wie wollt Ihr in den Turm gelangen?«
»Durch die Tür. Das Problem ist, zu ihr zu gelangen.«
Paclus murmelte etwas, das sich verdächtig nach einer
Anrufung Muradins, des Gottes der Zwerge, anhörte. Er
zog das Schwert aus der Scheide und trieb sein Pferd an,
eine Respektlosigkeit, die dieses ungemein ärgerte. Um
den Turm herum gab es keinen Wald und keine Felder,
sondern nur eine grüne Wiese, die üppig mit Blumen, vor
allem purpurroten Rosen, bewachsen war. Das Pferd
sprang so leicht über sie dahin wie über einen ebenen
Weg.
Trix warf die Zügel rasch über einen herunterhängenden Ast, hielt die Luft an und beobachtete Paclus. Sein
Pferd fraß von dem Gras, fand es jedoch wenig schmackhaft und fing daraufhin an, Trix’ Ohr zu beschnuppern.
Der trat lieber einen Schritt zurück. Eingeschnappt machte
sich das Pferd nun doch übers Gras her.
Sir Paclus hielt mit hoch erhobenem Schwert auf den
Turm zu. Gut, wir wollen ehrlich sein, mit nicht allzu
hoch erhobenem Schwert. Paclus’ hatte muskulöse, aber
kurze Arme. Trix ertappte sich bei dem Gedanken, dass
ein Streithammer oder Wurfbeil sich in Paclus’ Pranken
passender ausnähme.
Aber Ritter pflegten nun einmal nicht mit Hämmern
zu kämpfen. Das war Sache der Zwerge.
Da eine Zeit lang rein gar nichts geschah, hoffte Trix
schon, der Zauberer Sauerampfer sei nicht zu Hause.
Vielleicht zauberte er ja gerade für den Magistrat in
Bossgard? Oder er suchte Gräser für magische Tränke,
Sauerampfer für die Suppe …
Doch er hatte sich zu früh gefreut. Plötzlich leuchtete
die Spitze des Turms in einem gespenstischen roten Licht
auf. In der Luft über dem Turm bildete sich ein riesiges
Gesicht aus Rauch. Anscheinend das von Radion Sauerampfer.
Bei dem Zauberer handelte es sich um einen rundgesichtigen, kurzhaarigen Mann in mittleren Jahren. Vermutlich hätte er völlig harmlos gewirkt, wenn nicht die
finster zusammengezogenen Brauen gewesen wären, die
von Feuerexplosionen lodernden Augen und die Größe.
Das Gesicht neigte sich langsam. Mit stockendem Herzen
begriff Trix, dass es tatsächlich nur ein Gesicht war, das
da in der Luft hing, eine Art leerer Maske. Es
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