Lukianenko Sergej
nicht.« Trix zuckte die Achseln. »Das ist ein
Geheimnis, oder? Vielleicht sind besondere Worte nötig?«
»Genau«, sagte Sauerampfer. »Du musst wissen, mein
Junge, die Welt – das ist nur die Vorstellung, die wir
Menschen von ihr haben. Vor langer Zeit haben sich die
Menschen darauf geeinigt, dass der Himmel blau, die
Sonne gelb, das Gras rot …«
»Radion, das Gras ist grün«, sagte Paclus leise. »Wie
oft soll ich dir das noch sagen?«
»Grün, natürlich«, murmelte der Magier verlegen.
»Ich habe mich absichtlich versprochen – damit das Beispiel markanter ist.«
»Welche Farbe hat der Wein in unseren Bechern?«,
fragte Paclus unbarmherzig.
»Ist ja schon gut! Du brauchst mir das nicht ewig unter
die Nase zu reiben! Mein Vater konnte Farben nicht unterscheiden und ich komme da nach ihm. Blut und Wein
sind rot, Gras und Frösche grün. Rot ist, was dir durch
die Kehle rinnt, grün, was sich unter deinem Fuß befind’.«
»Das habe ich mir ausgedacht, damit er es sich besser
merkt«, brüstete sich Paclus. »Aber fahr fort!«
»Also …« Der Magier hüstelte. »Irgendwann haben
sich die Menschen darüber geeinigt, wie die Welt, in der
sie leben, beschaffen ist. Und selbstverständlich geschah
das mithilfe von Worten. Aber Worte können unterschiedlich sein. Und sie haben Kraft! Wenn du die richtigen Worte findest und überzeugend aussprichst, wird die
Welt dir glauben. Und sich ändern.«
»Deshalb braucht der Magier immer einen Zuhörer«,
ergänzte Paclus. »Und sei es ein dämlicher Minotaurus.
Deshalb haben kluge Magier immer einen Gefährten bei
sich. Einen Lehrling zum Beispiel.«
»Gute Magier«, sagte Sauerampfer in einem Ton, der
keinen Zweifel daran ließ, dass er sich zu den sehr guten
zählte, »bringen es sogar fertig, sich selbst zu überzeugen. Aber mit einem Partner ist es natürlich leichter. Und
je schlichter und vertrauensvoller der Partner ist, desto
besser zaubert der Magier.« Er schielte verstohlen zu Paclus und nippte rasch am Wein, als sei ihm aufgefallen,
dass er sich verplappert habe. Aber der Ritter argwöhnte
nichts.
»Welche Worte sind in der Zauberei denn die richtigen und welche nicht?«, fragte Trix.
»Das ist eine gute Frage«, sagte Radion. »Und wie jede
gute Frage enthält sie auch die Antwort. Die richtigen
Worte sind die, die etwas ausrichten ! Die dir den Atem
nehmen und das Herz leicht machen!«
»Und warum verlieren die ausgedachten Worte dann
ihre Kraft?«, wollte Trix wissen.
»Ah!« Nun kam Sauerampfer in Fahrt. »In dir steckt
wirklich ein großer Magier! Eben, einen Zauberspruch
kann man mehrfach verwenden. Aber durch wiederholten
Gebrauch nutzt er sich ab. Die Welt glaubt immer weniger an deine Worte, der Zauber funktioniert nicht mehr
richtig. Schreibst du ihn auf, um ihn jemandem zu überlassen, ist in ein paar Monaten selbst der beste Spruch
dahin! Deshalb horten Magier ihre Zaubersprüche und
sprechen sie nie ohne Not aus, improvisieren häufig und
verzichten bei den kleinen Aufgaben des täglichen Lebens grundsätzlich auf Magie.«
»Triff deine Entscheidung, mein Junge!«, sagte Paclus. »Du bist ein tapferer Knappe, ich würde aus dir einen
Ritter machen. Aber wenn du lieber Magier werden
willst …« Er verstummte, um dann traurig fortzufahren:
»Wer weiß, vielleicht kämpfen wir dann ja irgendwann
auf dem Schlachtfeld Seite an Seite. Und während du
deine schönen Worte formulierst, schütze ich dich mit
meinem treuen Schwert gegen Monster.«
Trix nickte. Er dachte nach. Dann trat er an den Ritter
heran und umarmte ihn fest.
»Heißt das, du willst Ritter werden, mein Junge?«,
fragte Paclus gerührt.
Radion Sauerampfer lächelte.
»Nein, Sir Paclus. Mit Eurer Erlaubnis würde ich gern
Zauberlehrling bei Eurem Freund werden«, antwortete
Trix. »Vielen Dank für alles. Ich hätte versucht, ein würdiger Knappe und Ritter zu werden. Aber ich glaube, die
Magie, das ist wirklich meins.«
Paclus nickte. »Du hast wohl recht, Trix«, sagte er
niedergeschlagen. »Viel Glück!«
Trix wandte sich dem Magier zu: »Welche Aufgabe
habt Ihr für mich, Lehrer?«
»Geh zwei Etagen tiefer, Schüler. Dort findest du eine
große und dreckige Küche. Sieh zu, dass du sie im Laufe
des Abends etwas sauberer kriegst. Und vergiss nicht,
dass wir Magier bei niederen Alltagsarbeiten auf Magie
verzichten.«
»Zu Befehl«, antwortete Trix unerschüttert.
Bevor er sich entfernte, warf er einen letzten Blick auf
das Spielzeughaus. »Es
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