Lukianenko Sergej
Abwaschwasser.
Mit einigen geschickten Bewegungen wusch er ihm das
Gesicht und trocknete es mit einem gebrauchten Küchenhandtuch ab. Das Geschrei und der Tränenfluss hörten wie durch Zauberei auf.
»Woher kannst du das?«, fragte Trix erstaunt.
»Im Kinderheim musste ich mich dauernd um die
Kleinen kümmern«, sagte Ian. »Putz dir die Nase!«
Hallenberry putzte sich die Nase mit dem Handtuch.
»Ich weiß nicht, was für ein Magier«, sagte er dann. »Tiana hat aus dem Fenster gesehen und gesagt, dass der
Magier mit der Wache kommt. Sie hat mir befohlen, mich
zu verstecken. Ich hatte furchtbare Angst. Er hat das Licht
zertrümmert und die Tür eingetreten und ist hereingestürmt. Da habe ich mich in der Küche versteckt …«
»Mein Liebling, darf ich das vielleicht erzählen?« Annette schwirrte auf der Höhe von Trix’ Gesicht in der
Luft. »Der Junge hatte wirklich Panik.«
»Und du?«
»Ich? Ich wäre beinahe vor Angst gestorben! Das war
ein Kampfmagier der Vitamanten! Ein sehr starker, der
trug sogar eine Rüstung! Zauberer mögen sonst keine
Panzer! Aber der bringt eine Fee um, ohne mit der Wimper
zu zucken!«
»Ist er wegen Tiana gekommen?«
»Sicher«, sagte Annette nicht allzu betroffen. »Kaum
hatte er die Tür eingeschlagen, stand er auch schon im
Raum. Die Fürstin hat sich gar nicht erst versteckt. Vielleicht weil es sinnlos gewesen wäre, vielleicht weil sie
den Jungen retten wollte. Der Vitamant sagt: ›Guten Tag,
Fürstin. Von zu Hause wegzulaufen ist zwar verlockend,
aber Ihr solltet Eurem guten Vormund nicht solchen
Kummer bereiten. Ich bringe Euch jetzt zurück zum Palast.‹ Daraufhin sagt die Fürstin: ›Wie liebenswürdig und
hartnäckig Ihr seid. Aus Treue gegenüber dem Regenten
Hass oder gegenüber Eurem Herrn?‹ Da lacht er und
antwortet: ›Sowohl aus Treue zu dem gastfreundlichen
Regenten wie auch zum großherzigen Evykait. Kommt
mit, Fürstin.‹ Und dann … ist sie weggegangen. Wir sind
vorsichtshalber lieber hiergeblieben.«
»Wie konntet ihr nur!« Trix schlug die Hände überm
Kopf zusammen. »In einer solchen Situation müssen
treue Freunde ein hilfloses Mädchen bis auf den letzten
Blutstropfen verteidigen! Vor allem, da ihr vermutlich
nicht einmal totgeschlagen worden wärt!«
»Das gilt für treue Freunde«, antwortete die Fee
schnippisch. »Ich bin aber nicht ihre Freundin!«
Leider hatte Annette damit recht. Wie konnte er von
der Blumenfee verlangen, sich selbst zu opfern? Ja, wenn
er zu Hause gewesen wäre, dann wäre er diesem Herrn
Ritter und Magier kühn entgegengetreten und hätte verlangt: »Mach, dass du fortkommst! Du befindest dich im
Hause des großen Zauberers Sauerampfer, ich bin sein
Schüler!« (Im Übrigen wusste der Vitamant natürlich nur
zu gut, wo er sich befand.) Doch vor seinem inneren Auge
sah Trix leider auch in aller Deutlichkeit, wie sich der in
Eisen gepackte Ritter seine Tirade geduldig anhörte, die
gewaltige Faust hob und ihm mit dem gepanzerten Finger
gegen die Stirn schnippte. Zum Beispiel. Und wie er,
Trix, dann zu Boden gehen würde – kühn, versteht sich.
»Stimmt. Ihr wart in keiner günstigen Position«, gab
Trix zu. »Aber jetzt müssen wir was unternehmen!«
»Nur dass wir genau das nicht können!«, widersprach
die Fee und schlug mit den Flügeln. »Dazu haben sie das
viel zu schlau eingefädelt! Ist die Fürstin etwa in Gefangenschaft? Oder eingekerkert? Nein, man hat sie einfach
nach Hause gebracht. In den Palast!«
»Aber sie soll gegen ihren Willen verheiratet werden!«
»Das ist das übliche Schicksal von Adligen«, konterte
die Fee. »Wenn du Co-Herzog geblieben wärst, hättest
du dann bei der Wahl deiner Frau dein Herz entscheiden
lassen dürfen? Pah! Dein Vater hätte dir zwei, drei Mädchen vorgestellt, die infrage kämen. Eine Dicke, eine
Pockennarbige und eine Dumme. Dann hätte er dir befohlen, dir eine auszusuchen. Und du, als braver Sohn,
hättest genau das getan. Denn die Ehe ist eine politische
Angelegenheit.«
»Aber was sollen wir dann machen?«, fragte Trix.
»Also ich geh nach Hause«, sagte Hallenberry, nachdem er sich noch einmal die Nase geputzt hatte. »Klaro?
Niemand weiß, dass ich Tiana geholfen habe. Glaube ich
jedenfalls. Gut, ich kriege eins hinter die Löffel, weil ich
nicht zu Hause geschlafen habe … aber das ist nicht so
schlimm.«
»Dann werde ich mal die Einkäufe wegpacken«, erklärte Ian. »Grüße Tiana von uns, wenn du sie siehst, ja?
Es tut mir
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