Lukianenko Sergej
Aniswein in ein kleines Gläschen.
»Ah …« Radion begriff allmählich. »Ah!«
»Trinkt das, Herr Zauberer!«, sagte Ian. »Zuerst den
Aniswein, dann … nein, nein! Erst den Aniswein! Dann
kriegt Ihr die Salzlake! Und Euren Wein gebt mir, den
solltet Ihr jetzt nicht trinken, davon kriegt Ihr bloß einen
schweren Kopf und schwache Beine!«
Sauerampfer schnitt eine Grimasse, trank aber klaglos
den scharfen Aniswein, um sich anschließend über den
Pokal mit der trüben Lake herzumachen. Er gab Ian die
leeren Gefäße zurück und schwieg einige Sekunden.
»Kluger Junge«, stellte er schließlich mit bereits kräftigerer Stimme fest. »Bist du Schüler von einem Heiler?«
»Nein, Herr Zauberer. Ich bin Waise. Aber Herr Hagus,
der Aufseher in unserem Heim, hat in einem solchen Fall
sehr gern Aniswein und Salzlake getrunken. Und er darf
in dieser Angelegenheit als Fachmann gelten.«
»Verstehe«, sagte Sauerampfer. »Trix! Die Frage ist
noch nicht beantwortet: Was ist das für eine Versammlung hier in meinem Haus?«
»Also … das ist die Fee Annette!«, setzte Trix an.
»Die Fee kenne ich«, blaffte Sauerampfer.
»Das ist Ian aus einem Waisenheim im Co-Herzogtum. Wir haben uns nach dem Umsturz kennengelernt. Er
war mein Knappe … und dann … dann sind wir uns vorübergehend verloren gegangen.«
»Und jetzt habt ihr euch vorübergehend wiedergefunden«, höhnte Radion. »Verstehe. Mein Schüler hat einen
eigenen Knappen. Einfach wunderbar!«
»Also …«, stammelte Trix.
»Wollt Ihr noch Salzlake?«, fragte Ian.
»Fixer Kerl«, bemerkte Radion. »Gut, lassen wir das
mal so stehen. Der Knappe eines Zauberlehrlings, ein
interessanter Präzedenzfall.«
»Pränzendenzfall?« Ian schnappte das unbekannte
Wort begeistert auf. »Ist das das Gleiche wie Prätendent?«
»Und wer ist das?«, fragte Sauerampfer, ohne auf Ians
Bemerkung einzugehen. Er zeigte auf Hallenberry, der
sich immer noch hinter Trix versteckt hielt.
»Das ist Klaro … Hallenberry.«
»Klaro Hallenberry? Seltsamer Name. Auch eine
Waise?«
»Nein, nicht wirklich.«
»Was heißt das? Eine unwirkliche Waise?«
»Also … sein leiblicher Vater war der Fürst Jar Dillon«, erklärte Trix. »Und seine Mutter ist ein Zimmermädchen des Fürsten. Das heißt, sie war es, denn sie hat
geheiratet und ist gestorben. Deshalb ist sein Vater jetzt
der ehemalige Hofbarde und heutige Gärtner. Aber das
ist nicht sein leiblicher Vater. Deshalb ist er ein bisschen
eine Waise.«
»Bei allen Göttern, das ist zu kompliziert für mich!
Jedenfalls heute Morgen!«, stöhnte Radion. »Haben wir
vielleicht auch noch den Regenten selbst oder die Fürstin
zu Besuch?«
»Die Fürstin war da«, antwortete Trix. »Aber ein Magier der Vitamanten hat sie mitgenommen und zum Hof
gebracht.«
Stille trat ein. Radion Sauerampfer lief nach und nach
rot an, und Trix fielen plötzlich siedend heiß jene Lehrlinge ein, die ihren Magiern zu viele Probleme bereitet
und daraufhin ihre Ausbildung als Bügel, Sessel oder
gutmütiger Hund abgeschlossen hatten.
»Herr Sauerampfer, erlaubt mir, alles der Reihe nach
zu erklären!«, rief er. »Als ich gestern Abend in Dillon
angekommen bin, da …«
Was genau Sauerampfer eigentlich beruhigte – die
schlüssige Erzählweise von Trix oder der zweite von Ian
gebrachte Pokal mit Salzlake –, lässt sich nicht sagen.
Vielleicht hatte auch Annette ihre Finger im Spiel, Trix
kam es jedenfalls so vor, als zaubere die Fee auf seiner
Schulter ein wenig, denn Wellen der Friedfertigkeit und
ein zarter Veilchenduft gingen von ihr aus.
Wie auch immer, Radion Sauerampfer hörte die
nächste Viertelstunde schweigend zu. »Du hast eine außergewöhnliche Begabung, die es verdient, untersucht zu
werden, Trix«, sagte er, nachdem er die ganze Geschichte kannte. »Du ziehst das Unglück förmlich an. Dabei
passiert dir selbst aber nie etwas! Wir haben es hier mit
den interessanten Schlussfolgerungen aus dem Theorem
Abuirres zu den Carrotte-Fenchel-Gesetzen zu tun …«
»All das gibt es in der Magie?«, fragte Trix erstaunt.
»Schlussfolgerungen, Gesetze und Theoreme?«
»Für alles auf der Welt gibt es Gesetze und Theoreme«,
schnaubte Sauerampfer. »Darüber brauchst du dir aber
noch nicht den Kopf zu zerbrechen. Lerne erst einmal,
die ungestüme wilde Energie, die in dir brodelt, anzuwenden! Das ist eine merkwürdige Geschichte. Der Regent Hass ist ein giftiger alter Kerl ohne jedes Gewissen,
von Güte und Großherzigkeit ganz zu
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