Lukkas Erbe
mit den Leuten im Wald blieb zurück. Nicole fragte einmal, ob sie es in den Müll werfen solle. Miriam schüttelte den Kopf. Das Stück gehörte zu Svenja Krahl. Und das Katalogbild einer Tasche gehörte dazu. Bruno Kleu hatte immer nur von den Fingern seiner Tochter gesprochen, kein Interesse gehabt an den anderen Opfern, Svenja Krahls Handtasche nicht erwähnt.
Leute im Wald! Die Zeichnung auf dem Paneel war viel zu winzig, auch mit einer starken Lupe ließ sich nichts von Bedeutung erkennen. Miriam wusste nicht einmal mehr, ob sie etwas erkennen wollte. Wenn Ben nicht mehr zu ihr kommen durfte, wäre es bestimmt besser gewesen, sich noch einmal zu bemühen, das alles zu vergessen. Ein letztes Mal einen neuen Anfang zu versuchen oder, wenn das nicht gelang, allein in den Tod zu gehen.
Sie konnte jederzeit ein Ende machen, nahm es sich manchmal am Abend vor, wenn die Haustür hinter Nicole zufiel. Und dann lag sie auf der Couch, das Paneel neben sich auf dem Tisch wie eine letzte Frage, die noch unbedingt beantwortet werden musste.
Nicole vergaß das Stück Holz bald wieder, ihre Gedanken kreisten ausschließlich um ein Baby. Hartmut war einverstanden. Über Weihnachten hatten sie ausführlich darüber gesprochen, nachdem Miriam den Anstoß gegeben hatte. Künstliche Befruchtung. «Mich stört dabei nur, dass man nicht weiß, von wem es ist», sagte Hartmut. «Man hört so viel über Vererbung und Gene, da wüsste ich gerne, was auf uns zukommt. Bist du einverstanden, wenn ich mal mit Andreas spreche oder mit Uwe?»
Natürlich war Nicole einverstanden, glücklich war sie.
Das waren andere auch. Anfang Februar wurde Bruno aus dem Krankenhaus entlassen und besänftigte Maria mit dem heiligen Versprechen, nie wieder an die Tochter und deren Tod zu rühren. Renate und Heiko Kleu warteten noch Bens Geburtstag ab, verließen danach den Hof endgültig und zogen zu Renates Freund. Patrizia ließ Schule Schule sein, übernahm die Pflichten der Hausfrau und verbrachte die Nächte in Dieters Zimmer, obwohl ihre Eltern dagegen waren.
Und Miriam wartete auf Ben, auf die letzte Antwort,die nur er geben konnte. Leute im Wald – sie musste zuerst erfahren, wer diese Leute gewesen waren, und dann sterben, allein oder mit ihm. Aber es gab kein Auto mehr auf Bruno Kleus Hof, in das er freiwillig stieg. Der BMW war als Totalschaden in der Schrottpresse gelandet, ein Neuwagen noch nicht geliefert. Das gebrochene Bein war auch noch nicht so weit verheilt, dass Bruno wieder selbst hätte fahren können. Patrizia behauptete, mit dem großen Haushalt und den Kälbern brauche sie dringend Bens Hilfe und habe nicht die Zeit, ihn zum Bungalow zu bringen. Und ihn alleine gehen lassen, kam überhaupt nicht infrage. Die Landstraße war zu gefährlich.
Aber an einem Auto sollte es nicht scheitern. Miriam konnte ihn abholen. Bruno war einverstanden, als sie es anbot. In der ersten Märzwoche fuhr sie kurz vor drei los. Ben freute sich, sie wieder zu sehen. Dem Jaguar traute er allerdings nicht auf Anhieb. Zweimal ging er um den Wagen herum, schaute ihn sich gründlich von außen an, spähte auch einmal skeptisch in den Innenraum. Erst als Bruno demonstrierte, dass auf dem Beifahrersitz ausreichend Platz für einen großen Mann war, stieg er ein mit seinem Kasten unter dem Arm.
Wenig später betraten sie den Bungalow. Nicole war noch da, wartete aber nur aufs Auto, um die Einkäufe machen zu können. Nachdem Nicole in der Garage verschwunden war, begann Miriam sofort mit ihren Fragen, hielt ihm das Paneel vor. «Wer sind diese beiden?»
«Fein», sagte er.
«Svenja Krahl», sagte sie. «Es sind nicht alle Fein, jeder Mensch hat einen Namen. Dieses Mädchen hieß Svenja Krahl. Wer ist der Mann bei ihr?»
Er zuckte mit den Achseln, wie Dieter Kleu es oft tat. «Weißt du es nicht, oder willst du es mir nicht sagen?»
Er schüttelte den Kopf, und sie wusste nicht, was er verneinte, den ersten oder den zweiten Teil ihrer Frage. «Bist du das?»
Noch ein Kopfschütteln. Bis Nicole mit den Einkäufen aus Lohberg zurückkam, erfuhr Miriam von ihm nicht mehr, als dass er einen Mann mit Svenja Krahl im Wald gesehen hatte, den er offenbar kannte. Nur konnte er ihr nicht erklären, woher. Sie wollte einen Namen von ihm hören, sprach ihm deutlich artikuliert Worte vor, forderte ihn auf, ihr nachzusprechen, weil sie mit den Karten nicht weiter kamen. Er lächelte sie nur an.
Nicole hatte zwei Stück Torte mitgebracht, brühte Kaffee auf, spähte
Weitere Kostenlose Bücher