Lukkas Erbe
gesehen. Terjung wollte frühmorgens zur Bushaltestelle am Ortsausgang. Von den Fahrgästen im ersten Bus hat sie schon niemand mehr gesehen.»
Dirk zündete sich eine Zigarette an, sprach weiter: «Seien wir ehrlich, Brigitte, wir hatten nicht viel in der Hand gegen Lukka. Was die drei betrifft, die erst im März 96 gefunden wurden, hatten wir gar nichts, nur Glück, dass Lukka sich nicht mehr rechtfertigen konnte.»
«Das meinst du nicht im Ernst.»
«Doch», sagte Dirk. «Es könnte auch so gewesen sein, dass Lukka nur hinter dem Burschen aufgeräumt hat. Er mochte ihn, wahrscheinlich hatte er seinen Spaß dabei, weil er die Familie Lässler eben nicht mochte. Aber wenn man’s genau nimmt, Lukka hat das Lässler-Mädchen ins Haus gerufen, weil Ben tobte. Lukka hat nicht bestritten, dass die Amerikanerin bei ihm war. Er hatte kein Motiv, das Mädchen aus Lohberg zu töten. Und ob Marlene Jensen bei ihm geklingelt hat oder zu ihrem Onkel wollte, wissen wir auch nicht. Du solltest dich mal mit Walter Hambloch unterhalten, Brigitte. Einen Gefallen hast du Ben nicht getan, ihn hier zu lassen. Es haben nicht alle Leute unbesehen geglaubt, dass er ein Unschuldslamm ist.»
Er wusste inzwischen von Miriam Wagner, sie war als Halterin im Kfz-Schein des Mercedes eingetragen. Walter Hambloch hatte das Fahrzeug als eine Art Geschäftswagen bezeichnet, einer Angestellten zur Verfügung überlassen, damit nicht der Eindruck entstand, Nicole sei käuflich gewesen. Hambloch hatte sich auch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, darauf hinzuweisen, dass Miriam Wagner erhebliche Zweifel an Lukkas Schuld geäußert und behauptet hatte, sie sei mit dem Rechtsanwalt zusammen gewesen an dem Abend im Juli 95, als Svenja Krahl verschwand.
«Warum hat er das nicht sofort gemeldet?»
«Was hätte er denn melden sollen?», fragte Dirk. «Dass Lukka Frau Wagner oder dass Frau Wagner ihn belogen hat? Er ist der Sache nachgegangen, es ist nichts dabei rausgekommen.»
Dirk wollte sich mit Miriam Wagner unterhalten, wenn sie aus dem Urlaub zurückkam. Dass sie verreist war, hatte er von Nicole Rehbach gehört. Und eilig hatte er es mit Miriam Wagner nicht. Seiner Meinung nachhatte sie mit dem aktuellen Fall nichts zu tun. Auch ich sah keinen Zusammenhang zwischen ihr, den neuen Opfern und Ben.
Wir erreichten den Bruch, und es ging so schnell. Der Hund brauchte keine Viertelstunde in dem unübersichtlichen Gelände. Dorit Prang, Rita Meier und Katrin Terjung lagen nebeneinander im Gewölbekeller, zwischen ihnen Unmengen von Kerzenstummeln. Jede hielt eine Mädchenfigur in der Hand. Marlene Jensen, das Gesicht war winzig, aber deutlich zu erkennen.
Für Dirk Schumann waren die drei Figuren nur ein Beweis mehr. Ben hatte seine Werke mitgenommen, als er Vanessa Greven tötete, weil er die Schnitzereien als sein Eigentum betrachtete. Natürlich wusste Dirk auch schon, dass es ursprünglich vier gewesen waren und Patrizia bei Leonard Darscheid behauptet hatte, Vanessa Greven habe ihr erklärt, die Figuren seien gestohlen worden. Wo die vierte Figur war, wusste er allerdings nicht. Ihm gegenüber hatte Patrizia geschwiegen.
«Der Bursche muss eine erstaunliche Wirkung auf Frauen haben», meinte Dirk. «Es gibt offenbar nur zwei Alternativen, totale Ablehnung oder die Bereitschaft, sich für ihn in Teufels Küche zu bringen. Vielleicht erklärst du mir bei Gelegenheit, was dich zu Letzterem veranlasst hat.»
Vanessa Grevens Grab spürte der Hund zwischen den Trümmerbergen auf. Ich dachte, Dirk würde noch weiter suchen lassen, wenigstens bis zum Einbruch der Dunkelheit. Aber er rief die Hundertschaft aus dem Bendchen zurück und sagte: «So blöd ist Bruno Kleu nicht, Ben ebenfalls hier zu verscharren. Er hat ihn ins Auto gepackt und es anderswo erledigt.»
Es! Ich glaubte, daran zu ersticken. Wenn sie ihn umgebracht hatten, war es meine Schuld, auch wenn michdafür niemand zur Verantwortung ziehen würde. Ich hätte ihn im März 96 nicht so einfach seinem Schicksal überlassen, nicht auf seine Mutter vertrauen dürfen. Ich hatte doch gewusst, wie krank sie war. Und ich war noch nicht einmal an Trudes Grab gewesen. An dem Abend war mir auch nicht mehr nach einem Besuch auf dem Friedhof.
Ins Krankenhaus fuhr ich noch einmal, um mit Nicole Rehbach über Miriam Wagner zu sprechen. Nicole schlief. Walter Hambloch saß bei ihr, er trug Uniform, hielt ihre Hand und erzählte ihr etwas. Ich ließ die beiden in Ruhe. Das Intensivzimmer lag
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